: Nur vier Tage nach ihrer Rückkehr in den Irak sind Saddam Husseins abtrünnige Schwiegersöhne ermordet worden. Für die einen eine "völlig normale Sache", Blutrache eben. Für die Opposition im Exil steht fest, daß Saddam Hussein den Befehl ga
Nur vier Tage nach ihrer Rückkehr in den Irak sind Saddam Husseins abtrünnige Schwiegersöhne ermordet worden. Für die einen eine „völlig normale Sache“, Blutrache eben. Für die Opposition im Exil steht fest, daß Saddam Hussein den Befehl gab.
Machterhalt durch Abschreckung
Hussein Kamil Hassan al-Madschid und sein Bruder Saddam Kamil Hassan müssen gewußt haben, was sie nach ihrer Rückkehr erwartete. Ehre und Schande sind in der arabischen Welt keine inhaltslosen Metaphern, und wer die Ehre seiner Familie verletzt, der hat nach dem Ehrenkodex Strafe verdient. Diese Strafe war traditionell die Verbannung in die Wüste, wo die „Ehrlosen“ der Sonne ausgesetzt wurden. Wenn sich aber, wie im Irak, das Ehrgefühl eines Clans nur noch auf den Machterhalt beschränkt, dann ist Verrat an dessen Herrschaft das einzig, aber zugleich größtmögliche Vergehen.
In den 17 Jahren seiner Regentschaft hat Saddam alles getan, um die rund sechstausend männlichen Tikritis seines „Stammes“ an die Schalthebel der Macht zu setzen. Die Familie war der Kern seiner Macht. Und der Aufruf zum Sturz dieser Macht war deshalb nicht schlichter Hochverrat, sondern ein Vergehen am eigenen Blut, das nur mit Blut gesühnt werden kann.
Nur vier Tage nach ihrer reuigen Rückkehr in den Irak sind die abtrünnigen Schwiegersöhne am Freitag abend in ihrem Haus erschossen worden – von Mitgliedern ihrer Familie, wie das irakische Innenministerium mitteilen ließ. „Der verräterische Zweig des Stammbaums wurde abgetrennt“, hieß es in einer offiziellen Erklärung von 20 Mitgliedern der Familie al-Madschid an Saddam Hussein. „Obwohl Sie ihnen vergeben hatten, war es unsere Pflicht, die Köpfe dieser Verräter abzuschneiden und in die Hölle zu schicken.“
Der irakische Botschafter in Bahrain, Ahmed Tajesch, meinte denn auch lakonisch, es handele sich um „eine völlig normale Sache“. Doch ganz so normal kann die Sache nicht gewesen sein. Das irakische Fernsehen berichtete jedenfalls, daß bei einem Gefecht im Hause der Heimgekehrten auch deren Vater und ein weiterer Bruder getötet wurden. Und zwei der erschossenen Angreifer wurden am Samstag als „nationale Märtyrer“ zu Grabe getragen.
Deshalb sind irakische Oppositionelle der Ansicht, Hussein Kamil und sein Bruder seien auf Befehl von Saddam Hussein ermordet worden. Der ehemalige irakische Geheimdienstmitarbeiter und heutige Oppositionelle Wafik Samarrai sagte in Dubai: „Hussein Kamil wurde liquidiert, nachdem er seit seiner Rückkehr nach Bagdad am Dienstag ununterbrochen verhört wurde.“
Ob die „Verräter“ nun von der engeren Familie aus eigenem Entschluß getötet worden sind oder auf Geheiß des Diktators, ist letztlich unerheblich. Die Ermordung der Schwiegersöhne als gewöhnlichen Akt der Blutrache darzustellen hat auf jeden Fall den Nutzen, Saddam Hussein selbst als möglichen Urheber aus der direkten Schußlinie zu nehmen und die Liquidierung als einen Akt traditionalistischen Verhaltens plausibel erscheinen zu lassen.
Der Aufruf zum Sturz von Saddam Hussein, den die Brüder wenige Tage nach ihrer Flucht in Amman publizierten, machte sie aber auch in der eigenen Familie zu Feinden. Denn die Loyalität der Tikritis gegenüber Saddam Hussein beruht auf zwei unterschiedlichen, manchmal widersprüchlichen Empfindungen: ihrer Furcht vor der Gewalt Saddams einerseits und der vor einem Blutbad, in dem auch sie untergehen würden, wenn Saddam denn gestürzt würde.
Die jahrelange Teilhabe an einer blutigen Diktatur hätte den Schwiegersöhnen Saddams jede Ungewißheit über ihr Schicksal nehmen müssen. Schon bei seinem Machtantritt 1979 hatte Saddam Hussein es sich nicht nehmen lassen, sich als sadistischen Herrscher in Mesopotamien einzuführen. Obwohl einer unblutigen Machtübernahme nichts mehr im Wege stand, ließ er den stellvertretenden Regierungschef und drei Minister umbringen. Er schreckte nicht einmal davor zurück, sich selbst die Hände schmutzig zu machen. Mitten in einer Kabinettssitzung tötete er 1988 einen Minister, der sich gegen den Einsatz von Chemiewaffen gegen Kurden ausgesprochen hatte. Georg Baltissen
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