Mit Ironie vom Holocaust erzählen

■ Im Gespräch: Michael Verhoeven, Regisseur von „Mutters Courage“, über seinen Film Märchen

Michael Verhoeven („Die weiße Rose“, „Das schreckliche Mädchen“), 58, hat aus George Taboris Erzählung „Mutters Courage“ einen Film gemacht, der im Wettbewerb der Berliner Filmfestspiele lief und derzeit auch in Bremen zu sehen ist. Der Regisseur kam gestern nach Bremen, um seinen neuen Film vorzustellen. „Mutters Courage“ nennt Büchner-Preisträger Tabori – nicht ohne Ironie – die Handlungsweise seiner Mutter, die sich, deportiert aus dem besetzten Budapest des Jahres '44, unter Lebensgefahr bei einem SS-Offizier beschwert. Sie sei im Besitz eines schwedischen Rotkreuz-Passes, den sie jedoch nicht dabei habe. Der Offizier mit der Macht über Tausende von Leben läßt Gnade walten. Else Tabori kann ihr Leben retten.

taz: An „Mutters Courage“ hat es – neben dem Bayerischen Filmpreis – harsche Kritik gegeben: von „Holocaust light“ bis „antifa-vollkompatibel“ oder von „Verhoeven'schem Bilderfett“ war die Rede. Die Inszenierung der „Vorselektion“ der ungarischen Juden auf dem Bahnhof von Budapest war manchem zu skurril geraten. Ebenso die zwei tattergreisigen Geheimpolizisten, die Elsa Tabori verhaften ...

Michael Verhoeven: Horty Äungarischer Reichsverweser 1920-44, Red.Ü hat 1944 die Deportationen in Ungarn verboten, weil er gedacht hat, daß die Alliierten doch kommen. Das ist die Situation in „Mutters Courage“. Die Deportationen sind verboten, finden aber trotzdem unterderhand statt. Und in den Köpfen der Juden war: wenn es mal zu einer Deportation kommt, würden sie in ein besseres Land versetzt. Deswegen ist die erste wirkliche Grobheit, die man erfährt und die man aus Filmen kennt, erst am kleinen Bahnhof Ädem Ziel der 4.000 Deportierten, dem sogenannten Tor zur Hölle, Red.Ü, ohne Zeugen. Erst da dürfen sie nicht mehr reden.

Wie erklären Sie sich das Verhalten des SS-Offiziers, gespielt von Ulrich Tukur, der sich die Beschwerde von Elsa Tabori in aller Ruhe anhört und sie dann mit ihm zusammen nach Budapest zurückfahren läßt?

Tabori sagt, es ist ein Wunder oder ein Märchen. Es ist zwar ein wahres Märchen, aber es ist eins. Obwohl man noch nicht weiß, was noch kommt, nachdem er sie freigelassen hat. Wahrscheinlich läuft das so, weil die um ihn rum so schnell dabei sind, diese Frau niederzuschießen. Und er ist doch der Gott dieses Unternehmens, und da ist es einfach von den anderen ein taktischer Fehler, daß sie sie jetzt liquidieren wollen – Willkür. Wenn da auch nur einer dabeigewesen wäre, der einem Rang angehört hätte, um den Offizier anzuschwärzen, dann hätte er's nicht gemacht.

Hat Elsa Tabori den Rotkreuz-Paß wirklich, den sie vorgibt zu besitzen?

Nein. Da hat mir der George Tabori schon mehrere Varianten erzählt. Ich denke, es ist nicht so wichtig, das zu wissen. Es kommt darauf an, daß sie in diesem Moment in der Lage ist zu behaupten, sie habe einen Paß. Das ist ihre Stärke in dem Moment. Woher sie die hat, weiß der George auch nicht. Weil sie genau diese Stärke eben nie gehabt hat. Das ist das Witzige, daß er das „Mutters Courage“ nennt, wo sie doch so ein angepaßtes Wesen hat. Bei Brecht ist das doch eine, die behauptet sich und kämpft auch materiell noch was raus.

taz: Wie hat George Tabori, der in Ihrem Film als Erzähler auftritt, die Inszenierung beeinflußt? Was hat er gesagt, als der Film fertig war?

Tabori hat gesagt, ich bin sehr stolz auf den Film. Er ist jemand, auf dessen Urteil ich großen Wert lege, ohne daß ich mich bei der Arbeit rückversichern wollte. Wenn ich damit anfange, muß es dann auch meine Sache werden, sonst fühle ich mich unfrei.

Wieso haben Sie Tabori so in den Film integriert, daß ein Verfremdungseffekt entsteht und der Erzähler gewissermaßen die Handlung anhält, um dem Publikum zu erklären, daß etwa die ungarischen Faschisten ungepflegte Uniformen trugen?

Mir geht es nicht um Verfremdung. Mir geht es um eine Definition: nämlich, daß ich nicht alle Anstrengungen unternehme, vergessen zu lassen, daß es ein Kinostück ist. Damit in den Film eine Ironisierung reinkommt, die vielleicht das Wesentliche ist gegenüber allen anderen Holocaust-Stoffen. Tabori hat ja selber einen solchen ironischen Blick.

Sie haben eine Sequenz gedreht und wieder herausgeschnitten, wo es im Zug zum Lager zu Annäherungsversuchen an Elsa kommt ...

Das ist kein Annäherungsversuch, die ficken richtig!

Weshalb haben Sie sie wieder herausgenommen, obwohl sie nach Ihrer Meinug gut gelungen ist?

Eine Szene, in der gevögelt wird, ist gut fürs Kino, das läßt sich sehr gut vermarkten. Diese Szene hat für den George Tabori eine wichtige Funktion, wie überhaupt die ganze Sexualität in Geschichten, die die Shoa zum Thema haben. Er bedauert immer, daß wir die Opfer nur als Heilige ertragen können. Insofern hab ich erst mal gedacht, die Szene ist wichtig.

Ich hab den Film in Toronto gezeigt, vor einem überwiegend jüdischen Publikum. Die haben dann gesagt, das einzige, was wir hier an Gewalt erleben, kommt von einem Juden. Das entstellt. Da hab ich mir gedacht, so ist das nicht gemeint. Dann habe ich sie rausgenommen.

Sie hätten aber auch sagen können, der Film zeigt einiges an Unwahrscheinlichem, und auch die Liebesszene ist von Tabori verbürgt. Warum also gerade diese, zumal gut gelungene Sequenz entfernen? Ein hoher Tribut an das Publikum in Toronto.

Ich habe einfach Skrupel. Ich bin nicht frei in diesem Thema.

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