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KommentarBillige Rituale

■ Über die Flucht der Gewerkschaften

BeobachterInnen dachten, sie hätten sich verhört, als gestern die Vulkan-Betriebsräte und Norddeutschlands oberster Metaller Frank Teichmüller vor die Presse traten. „Jeder Arbeitsplatz muß erhalten bleiben“, tönten sie und: „Der Verbund muß zusammenbleiben.“ Wovon reden die Herren da überhaupt, befinden wir uns noch in derselben Realität? Das schon, nur: Sie trauen sich nicht, die Wahrheit zu sagen, und sie flüchten sich in das ururalte Ritual: „Wir werden doch wohl nicht den Abbau von Arbeitsplätzen fordern.“ Immer schön auf Linie, denn so ist es Brauch.

Wir kennen die Melodie, wir kennen den Text, und irgendwie ahnen wir, daß es genau diese Haltung der Herren Aufsichtsratsmitglieder von der Arbeitnehmerbank war, die sie in den letzten Jahren blind und taub gegen das sich ankündigende Desaster gemacht hat. Friedrich Hennemann brüstet sich damit, daß er so lange Arbeitsplätze gehalten hat.

Die Aussage könnte von den Betriebsräten und ihren Gewerkschaftskollegen kommen. So lange haben sie Arm in Arm mit dem Vorstand gegen ökonomische Rationalität Arbeitsplätze gesichert, daß am Ende der komplette Verbund mit Mann und Maus gegen die Wand gefahren ist. Jetzt wäre die Zeit, den Belegschaften reinen Wein einzuschenken. Rituale sind zu billig.

Jochen Grabler

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