Ohne Klischees

■ "Der Pakt - Wenn Kinder töten", ein Fernsehfilm darüber, was Gewalt gegen Jugendliche bewirken kann (20 Uhr, Sat.1)

Nicolas ist 15 und gibt sich in der Schule so verschlossen, daß selbst seine Klassenlehrerin sich Sorgen macht um ihn. Eva ist neu auf der Schule, auch sie nicht gerade pflegeleicht, im Gegenteil. Sie teilen ein ähnliches Schicksal: Ihnen wird körperlich und seelisch Gewalt angetan. Der Junge wird von seinem Vater (sehr plastisch Harald Krassnitzer) sexuell mißbraucht, das Mädchen von der Mutter und deren Lebensgefährten beinahe täglich geschlagen. Sie schlägt eine Abmachung vor, so schlicht wie folgenreich: Sie werde seinen Vater umbringen, er ihre Mutter.

Ehe der Zuschauer mit der Ausgangslage des folgenden Dramas vertraut wird, vergehen nur 20 Minuten. Bis dahin – kein Stück wie aus dem Lore-Roman. Eher rührend und, wenn das Wort nicht so verrufen wäre, müßte man auch sagen: zart. Dem 27jährigen Regisseur Miguel Alexandre – sein Debüt hatte er mit dem wunderbaren Film „Nana“, den der Südwestfunk zeigte – ist es wohl zu verdanken, daß gerade dieser Anfang nicht in abstruseste Klischees abgleitet. Was er gedreht hat (das Drehbuch schrieb Ben Taylor), ist eine ziemlich dichte Studie zum Thema Gewalt gegen Jugendliche. Bis zum Ende wird thematische Spannung durchgehalten – nicht nur eine, die vorwiegend über Action entsteht.

Doch nicht zuletzt aber sind es die beiden Hauptdarsteller, die den Figuren etwas seltsam Wirkliches geben. Marlene Meyer-Dunker und Daniel Brühl unterhalten sich wie Verlorene, ohne daß das Drehbuch von ihnen verlangt, ihre Pubertät als allerletztes Leiden zu begreifen – und die Regie gibt ihnen die Zeit, die nötig ist, damit der Zuschauer ihnen und ihrer Geschichte auch Glauben schenken kann.

Lakonisch die Dialoge, eher brüchig und änstlich und mutig ihre Annäherungen. Es sieht ein bißchen so aus, als spielte Jodie Foster mit dem jungen Götz George den Fänger im Roggen – mit dem Unterschied freilich, daß beide nicht nur weltanschauliche Probleme zu bewältigen haben, sondern sich etwas durchaus Lästiges vom Hals schaffen wollen. Es stößt auch nicht übel auf, daß schließlich doch noch geballert wird und daß am Ende so etwas wie ein Final Countdown inszeniert wird. Und so fragt man sich bis zur letzten Sekunde: Werden die beiden sich vom Zug überrollen lassen oder nicht? Reicht beiden das Gefühl, sich wenigstens eine Spur gewehrt zu haben, um aus dem Leben zu gehen? Jan Feddersen