Vereinter Mut zur Differenz

Die „Collaborations“ zwischen Andy Warhol, Jean-Michel Basquiat und Francesco Clemente in Kassel  ■ Von Miriam Lang

Was haben sie gemeinsam: ein alternder Pop-art-Star, ein gerade mal 25jähriger afrohaitianischer Graffitikünstler, der als „Samo“ in der New Yorker U-Bahn debütierte, und ein „junger Wilder“ aus Italien, der seine Inspiration vor allem in Indien gesucht hat? Nicht viel, außer den Mut, sich zusammen auf ein künstlerisches Wagnis einzulassen.

Denn riskant war es allemal, was Andy Warhol, Jean-Michel Basquiat und Francesco Clemente Mitte der achtziger Jahre in New York angegangen sind. Zwölf Leinwände haben sie auf Anregung des Züricher Galeristen Bruno Bischofberger gemeinsam bearbeitet. Die Bilder wurden von Atelier zu Atelier gereicht, und jeder konnte mit den Vorgaben des Vorgängers anstellen, was er wollte: übermalen oder bedrucken, widersprechen oder ergänzen.

Gerade von der Heterogenität der Stile und künstlerischen Temperamente leben diese „Collaborations“. Warhol, Basquiat und Clemente haben nicht zusammengearbeitet, um gemeinsame Ziele zu einem harmonischen Ganzen zu verschmelzen, sondern vielmehr ging es ihnen um produktive Reibung, um den Widerspruch. Jeder der drei hat auf jedem Bild seine ganz persönliche Handschrift erkennbar hinterlassen, und doch korrespondieren die einzelnen Elemente in verblüffender Weise miteinander. Bei „Pole Star“ zum Beispiel hat Basquiat mit einem Durcheinander von winzigen Zeichnungen und den für ihn typischen Wortreihen den Anfang gemacht. Clemente hat links im Bild ein großflächiges menschliches Profil darübergesetzt, aus dessen Mund eine kleine Figur wächst. Das Gesicht mit dem starren Blick legt eine eigentümliche Ruhe über Basquiats zersplitterte Zeichenwelt, die durch die Farbe hindurch noch erkennbar bleibt. Andy Warhol schließlich hat das für ihn typische getan: Er hat das so entstandene Bild fünfmal in Schwarzweiß reproduziert, und es so in einen großformatigen Sechsteiler verwandelt. So entsteht eine rhythmische Sequenz, in der Clementes Farbsetzung zum großen Teil zurückgenommen wird, wodurch sie eine neue Verbindung mit Basquiats graphischen Spuren eingeht.

Gerade weil die drei aus völlig unterschiedlichen Erfahrungswelten und Generationen kommen, erscheint ihr Experiment heute zeitgemäßer denn je: Jeder bleibt sich selbst treu, achtet aber gleichzeitig die Eigenart des anderen, mit dem er dennoch eine Verbindung sucht. Besonders deutlich wird das an den Zweier-Collaborations von Warhol und Basquiat, die nach dem Ausscheiden von Clemente noch über hundert Leinwände in Warhols „Factory“ zusammen bearbeitet haben, diesmal ohne jede formale Vorgabe. Hier steht Warhols technische Perfektion der Unfertigkeit und technischen Unbekümmertheit von Basquiats Arbeiten diametral gegenüber – und doch entsteht ein Dialog. Basquiat gelang es in dieser Zeit sogar, den Altmeister der Drucktechnik wieder zum Malen per Hand zu bewegen.

Keith Haring, der die beiden bei der Arbeit besucht hat, erinnert sich: „Mit Jean-Michel zu malen, war nicht immer einfach. Man mußte darauf gefaßt sein, alles, was man gerade gemacht hatte, in Sekunden übermalt zu sehen. Es war eine Art totaler Hingabe, die volles Vertrauen und Respekt für die Arbeit des anderen verlangte. Andy liebte die Energie, mit der Jean ein Bildmotiv völlig auslöschte und ein anderes konturierte.“

Jean-Michel Basquiat gibt den durch die Siebdrucktechnik bewußt unpersönlich gehaltenen Motiven von Warhol, der auch hier Symbole der Konsumwelt reproduziert hat, neue Subjektivität und Lebendigkeit. Basquiat malt nicht, er hinterläßt Spuren auf der Leinwand, die Spuren der äußerst facettenreichen Identität eines schwarzen New Yorker Straßenkids haitianisch-puertoricanischer Abstammung sind. Seine Zeichnungen wirken immer unfertig, uneindeutig, gebrochen. Bereits Geschriebenes streicht er wieder durch, die Augen, die er malt, sehen nicht wirklich, sondern meist sind sie durch den Schriftzug „eye“ ersetzt. Er greift auch auf das Repertoire des karibischen Animismus und des Voodoo zurück, malt Ziegen, rituelle Masken und geheime Zeichen. Andererseits erinnern seine Kritzeleien durch die Fülle von Anspielungen und Verweisen manchmal auch an die Wände einer Großstadttoilette: Da ist alles möglich, von der Landkarte Chinas über Comicfiguren bis zu Zitaten aus Kochrezepten oder Verweisen aufs amerikanische Haushaltsdefizit.

Manchmal findet die Auseinandersetzung auf ein und derselben Leinwand nicht nur auf der Gestaltungsebene, sondern in Worten statt: „Eat your vegetables“ hat Basquiat auf das Bild „El jefe“ geschrieben, und Warhol kontert mit zwei überdimensionalen Steaks. In das kreisrunde Logo der US-amerikanischen Backpulverfirma „Arm and Hammer“, das an realsozialistische Embleme erinnert, setzt Basquiat den Kopf eines schwarzen Saxophonspielers und das Todesdatum von Charlie Parker. Die Firmenikone wird so zur Gedenkmedaille, zum Symbol afroamerikanischer Kultur. Wobei das quer darüber gesetzte Wort „commemorative“ – bei Basquiat „commemeritve“ – auch schon wieder durchgestrichen ist. Aus dem Saxophon steigen runde, blaue Töne auf, Blue notes, wie es sich für den Großmeister des Jazz gehört.

Die Zweier-Collaborations sind 1985 nach ihrer Fertigstellung bereits in einer New Yorker Galerie gezeigt worden. Die Reaktionen des Publikums waren sehr zurückhaltend, Basquiat wurde gar als Moskottchen von Warhol bezeichnet, was ihre Zusammenarbeit jäh beendete. Dennoch traf Warhols Tod zwei Jahre später den jungen Basquiat schwer – er selbst überlebte ihn nur um ein Jahr.

Heute, zehn Jahre später und zu einer Zeit, wo Differenz und Uneindeutigkeit den philosophischen Diskurs bestimmen, ist Jean-Michel Basquiat die interessanteste Figur der Kasseler Ausstellung.

Museum Fridericianum Kassel, Friedrichsplatz 8. Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr, bis 5. Mai. Katalog: 38 DM