In jeden Ton reingehen

■ Ist schon mal gespannt auf die Musik des 21. Jahrhunderts: Der junge Cellist Pieter Wispelwey fand beim Konzert die richtige Sprache für Klassiker wie für Modernes

Pieter Wispelwey – ein „Geheimtip“, wie es in der Ankündigung hieß? Der gute Besuch im Sendesaal von Radio Bremen bewies schon das Gegenteil. Vielleicht stimmt das in Bezug auf ein breiteres Publikum, das die Glocke zu füllen in der Lage ist – eine solche Resonanz wird nicht mehr lange auf sich warten lassen. Der junge niederländische Cellist Wispelwey gab jetzt sein bremisches Debut. Ein ganz normales Rezital mit klassischen und romantischen Cellosonaten geriet zu einer musikalischen Sensation.

Das Grund ist simpel: Wispelwey, zunächst ausgebildet bei Anner Bylsma als Barockcellist, entwickelt seinen interpretatorischen Ansatz mit äußerster Konsequenz aus einem rhetorischen Ansatz heraus. Musik, und zwar jegliche, nicht nur die des Barock, ist für ihn Sprache. Mit allem, was darin passiert: Dialog, Diskurs, Frage, Antwort, Argumentation, Beharren. Hierfür (und nicht für abgehobene Virtuosität und melodisches Schwelgen) nutzt er seine phänomenale Technik, die er für immer feinere Nuancierungen der Sprachgesten einsetzt. Geschenkt, daß ihm im Eifer des Gefechts Töne wegbleiben und das Holz des Cellos gelegentlich mitzuhören ist: Wer derart risikofreudig die interpretierte Musik zur eigenen werden lassen kann, dem darf auch mal was passieren, dem muß sogar etwas passieren.

Beethovens Sonate in A-Dur, 1808 auf der Schwelle zwischen Klassik und Romantik geschrieben, blitzte nur so durch die Exaktheit der Gesten, was Wispelwey unter anderem durch ein nahezu vibratoloses Spiel und ein oft ruckartiges und überraschendes Hineingehen in jeden einzelnen Ton erreicht. Die Kleingliedrigkeit seines Ansatzes, die konsequent alles außer acht läßt, was man so schön mit „großem Bogen“ bezeichnet, hatte auf die Wiedergabe der romantischen Stücke eine ganz besondere Wirkung. Johannes Brahms' Sonate in F-Dur klang zeitlos und modern, und die eindeutigen Längen in Felix Mendelssohn Bartholdys Sonate in D-Dur waren nicht zu hören. Mit einer solchen Auffassung von Musik, wie Wispelwey sie hat und praktiziert und wie sie keinesfalls den Dogmen der historischen Aufführungspraxis zugeordnet werden kann, gibt es keine Grenzen des Repertoires. Und so spielt er immer mehr auch Musik des 20. Jahrhunderts und straft all jene Lügen, die behaupten, daß sich Interpretationen von alter und neuer Musik ausschließen. „Ich bin schon sehr gespannt auf die Musik des 21. Jahrhunderts“, hat er sogar gesagt.

Sein Partner auf dem historischen Riedl-Flügel (Wien 1865), der Italiener Paolo Giacometti, darf hier nicht in zweiter Linie genannt werden, denn die interpretatorische Konzeption führten natürlich beide aus. Die Intensität, mit der hier Impulse gegeben und genommen wurden, ist beispielhaft für gutes Duospiel.

„Kammermusik im Sendesaal“ heißt etwas einfallslos die neue Reihe bei Radio Bremen. Musizieren sollen bremische DebutantInnen. Besser und aufregender hätte der Einstand nicht sein können.

Ute Schalz-Laurenze