Abschiebung schützt die Menschenhändler

■ Zeugin im Verfahren gegen Frauenhändler vorschnell abgeschoben: Verstoß gegen Koalitionsvereinbarungen

Die Opfer von organisiertem Frauenhandel sollen hierbleiben können, um vor Gericht gegen die Täter auszusagen. So vereinbarten es SPD und CDU bei den Koalitionsverhandlungen, so will es auch die behördenübergreifende Fachkommission „Frauenhandel“. Schließlich ist es schwer genug, solche Täter aus dem Bereich der internationalen organisierten Kriminalität zu überführen. Doch nun hat die Ausländerbehörde eine Zeugin ohne Not abgeschoben.

Nach Darstellung ihrer Anwältin Regina Götz wurde die 20jährige Ukrainerin Tatjana P. im Dezember 1995 von Menschenhändlern nach Berlin verschleppt, dort in einer Wohnung festgehalten und vergewaltigt und schließlich zur Prostitution gezwungen. Bei einer Razzia nahm die Polizei sie Anfang Februar fest und brachte sie wegen illegalen Aufenthaltes und unerlaubter Erwerbstätigkeit – sprich Prostitution – in Abschiebehaft. Mitte Februar wurde sie von der Kriminalpolizei vernommen, die aufgrund ihrer Aussage zwei Ermittlungsverfahren wegen Vergewaltigung und schweren Menschenhandels einleitete. Die Kripo, das bestätigte Justizsprecher Rüdiger Reiff, informierte die Ausländerbehörde darüber, daß die Inhaftierte als Zeugin in diesen Ermittlungsverfahren benötigt werde.

Die Ausländerbehörde schien das alles jedoch nicht zu interessieren: Frau P. sei der Prostitution nachgegangen, also abzuschieben, argumentierte sie. Am vergangenen Donnerstag ließ sie die Ukrainerin zum Entsetzen ihrer Anwältin außer Landes bringen. „Dies ist ein Freifahrschein für Menschenhändler und Vergewaltiger von verletzten Frauen ohne deutschen Paß“, schimpfte diese. „Offensichtlich ist es für die Interessen der BRD wichtiger, ausländische Menschen abzuschieben als an ihnen in der BRD begangene Verbrechen zu ahnden.“

Es habe keine schriftliche Bitte der Staatsanwaltschaft vorgelegen, von einer Abschiebung abzusehen, verteidigte Thomas Raabe als Sprecher der Senatsverwaltung für Inneres das Vorgehen der Ausländerbehörde. Eine Argumentation, die Justizsprecher Rüdiger Reiff nicht teilt: „In meinen Augen besteht kein großer Unterschied darin, ob sich die Staatsanwaltschaft oder die Kripo an die Ausländerbehörde wendet, Strafverfolger sind Strafverfolger.“ Die Staatsanwaltschaft hätte sich im vorliegenden Fall gar nicht äußern können, weil sie wegen Problemen mit der Zuständigkeit die Akten zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf dem Tisch gehabt habe. „Als diese dann doch vorlagen, ordnete sie die richterliche Vernehmung der Zeugin für diese Woche an – aber da war die Frau schon weg.“

„Der Aufklärungsauftrag der Staatsanwaltschaft wird dadurch nicht in Frage gestellt“, befand indes der Sprecher der Innenverwaltung. Denn im vorliegenden Fall seien noch zwei weitere Frauen festgenommen worden, die als Zeuginnen fungieren könnten. „Wie bitte?“, fragte Rechtsanwältin Götz, „soll in einem Vergewaltigungsverfahren jetzt eine andere Frau als Opfer aussagen?“

Auch Helga Korthaase, SPD- Staatssekretärin in der Senatsverwaltung für Frauen, zeigte sich „mehr als entsetzt“. Sie habe zugunsten der Frau noch bei der Kriminalpolizei interveniert, um die Frau aus der Haft herauszuholen und sie vor der Abschiebung zu bewahren. „Ich war vollkommen überzeugt, daß damit alles in Ordnung ist. Danach war ich bloß fünf Tage weg, und nun das.“ Ute Scheub