■ Jüngste Frau im Bundestag, erste Genossin im Bonner Haushaltsausschuß, einzige Ministerpräsidentin. Am 24. März wählt Schleswig-Holstein. Auftritt: Heide Simonis Ein Porträt von Bascha Mika
: Die Macht steht ihr gut

Die Macht steht ihr gut

Zuerst kommt der Hut. Fast scheint's, als käme er allein aus dem Bus geklettert. Eine geräumige, schwarze Salatschüssel mit faustgroßen Stoffblumen bekränzt. Darunter zeigt sich, vom Filzdeckel leicht erdrückt, ein schmales Gesicht. Der Rest folgt im langen, dunklen Mantel. „Falls Sie's noch nicht am Hut erkannt haben – ich bin Heide Simonis, Ministerpräsidentin.“ Die zwanzig Leute, die in der Kleinstadt Geesthacht auf die Sozialdemokratin gewartet haben, antworten mit knappem Gelächter und neugierigen, abschätzenden Blicken.

Wahlkampf in Schleswig-Holstein. Heide Simonis tourt in einem umgebauten Linienbus über Land. Es ist das erste Mal, daß sie sich den Wählern als Ministerpräsidentin empfehlen muß. 1993, als sie ihr Amt antrat, war sie nur Nachrückerin für Björn Engholm; den hatten die Spätfolgen des Barschel-Skandals von der politischen Bühne gefegt.

Seitdem gibt Simonis das Stück „Die forsche Heide“. Buch und Regie: Heide Simonis. Einzige Hauptrolle: Heide Simonis. Die Inszenierung ist volksnah, setzt auf leutseligen Charme und einen gehörigen Schuß Derbheit. Immer hart nach dem Motto „Erst zuschlagen, dann fragen“. Ein Kontrastprogramm zum Vorgänger Engholm, der den intellektuellen Schöngeist mimte. Meist wird auf norddeutschen Brettern gespielt, doch ab und an lockt auch das bundesweite Publikum.

So drosch Simonis im letzten Herbst auf die Genossen Schröder und Scharping ein. „Die benehmen sich wie kleine Jungs, die im Sandkasten spielen und sich die Förmchen um die Ohren hauen!“ Nach dieser pädagogischen Maßnahme wurde Simonis prompt als mögliche Kanzlerkandidatin gehandelt. Dieser Effekt war bestimmt kein Regiefehler.

„Ich als Kanzlerkandidatin? Ich glaube, das steht nicht zur Diskussion“, sagt sie heute und guckt betont brav aus den braunen Augen. „Den ersten Zugriff hat immer der Parteivorsitzende, und das bin ja nun eindeutig nicht ich.“ Und wie steht's mit dem zweiten? An diesem Punkt stellt die Politikerin gern die Geschlechterfrage. „Ich halte es eher für möglich, daß eine Frau Bundespräsidentin wird. Ich glaube, den dekorativen Posten könnten wir relativ schnell kriegen.“ Und weil es ihr schwerfällt, den Mund zu halten, wenn man sie so direkt fragt, fügt sie hinzu: „Daß ich Frauen das Kanzleramt zutraue – und auch mir zutraue –, das ist klar!“

Mit dem Zutrauen ist das so eine Sache. „Mein ganzes Leben ist begleitet davon, daß irgend jemand sagt: Sie schafft es nicht. Das wirkt wie 'ne Droge.“ Dann beginnt Simonis zu kämpfen. Viel Zweifel, viel Ehr'. „Und wenn mich jemand gelinkt hat, dann heul' ich nicht rum, sondern denke: Na warte, Bürschchen! Das zahl' ich dir heim!“ Bei diesen Worten grinst sie so schlagkräftig, daß man es sofort glaubt.

Angefangen hat das wohl alles mit ihrer Mutter, denkt sie sich. „Die war der Meinung“, gesteht sie ganz routiniert, „daß ich ein bißchen doof geraten bin.“ Also wollte sie es der Mutter zeigen. Und dann ihren Professoren. Und dann den Genossen. Und dann den Nordlichtern. Und dann...?

Apropos Mutter. Was ihre männlichen Kollegen stets krampfhaft verbergen – die Politentertainerin packt es ungefragt auf den Tisch. Ihre schwierige Mutterbeziehung zum Beispiel. Daß Mutter ihr den Mund mit Seife auswusch, wenn sie „Scheiße“ sagte; daß sie ständig an ihr rumnölte und das asthmakranke Kind oft jahrelang in Heime abschob. Und der Vater? „Sehr liebevoll. Er war überzeugt davon, daß seine drei Töchter gut sind.“ Diese persönlichen Prägungen sind Simonis bewußt – so bewußt, daß sie sie publikumswirksam ausspielen kann. Richtig gern erzählt sie diese Geschichten. Bevorzugt in Talk- Runden. Vielleicht arbeitet sie sich ja noch immer an ihnen ab. Vielleicht ist es schlicht for Show?

Noch bietet Kiel die rechte Kulisse für die One-Woman-Show. Simonis allein im Rampenlicht, dafür hat sie gesorgt. Damit niemand sich mopsig macht, droht sie vorsorglich: „Ich bin eine Machtpolitikerin.“ Drei Minister hat sie seit ihrem Amtsantritt geschaßt. Alle waren nicht gerade Fans von ihr. Frau Ministerpräsidentin zieht es entschieden vor, sich mit Getreuen zu umgeben. Mit loyalen, möglichst langjährigen Streitern für die Sache Simonis. Kompetent, aber außer Konkurrenz. Ihre Ministerriege ist im Land kaum bekannt. Fleißige StatistInnen, aus deren Mitte heraus die Protagonistin besser glänzen kann. „Kabarett statt Kabinett“, spottete der FDP-Widersacher Wolfgang Kubicki.

Im engen Kreis der Staatskanzlei gibt Simonis die Familienmutti. Dafür hat sie eine natürliche Begabung. Mühelos kommt „der Heide“, wie ihre Truppe sie nennt, Herzliches und Kumpelhaftes über die Lippen. Sie sorgt sich, sie kümmert sich, sie lacht laut und ein wenig dreckig – solange die Familie pariert. Wehe, wenn nicht. „Wenn jemand nicht spurt, kann ich schon zur Furie werden“, schnappt sie. Diese dünne Person hält sich ja was auf ihr Temperament zugute. Jeder weiß, wie schnell aus der heiteren Heide ein brüllender Boß werden kann. Deshalb beschweren sich die Mitarbeiter in den Ministerien nur heimlich, daß Simonis ihnen zuviel hineindirigiere.

Die Partei frißt der Spitzenfrau aus der Hand – auch wenn einige Genossen am liebsten hineinbeißen würden. Links war der SPD- Landesverband früher, jetzt ist er handzahm. Mit der forschen Heide können es die Genossen einfach nicht aufnehmen. Schon bei ihrer Wahl zur Ministerpräsidentin war sie die einzige Alternative. Von allen Barscheleien unberührt, symbolisierte sie die politische Unschuld, als erste Chefin einer Landesregierung stand sie für den radikalen Neuanfang. „Sie glauben doch nicht, daß diese Partei damals eine Frau genommen hätte, wenn die Situation anders gewesen wäre“, bemerkt die 52jährige. Klingt reichlich bitter für eine Frau, die von sich sagt: „Ich brauchte nie so irrsinnig gegen Männer zu kämpfen wie manche Kolleginnen, die ganze Berge widerspenstiger Männer zur Seite räumen müssen.“

Auch politisch hat die Partei dieser Frau nichts entgegenzusetzen. Jahrzehntelang siechte Schleswig-Holstein am Rande der Zone dahin, abhängig von Landwirtschaft, Tourismus und Schiffbau. jetzt wird auf Elektronik und Technologietransfer umstrukturiert; die Arbeitslosenquote liegt unter dem Durchschnitt der alten Länder, die Finanzkraft wächst, die Nettoneuverschuldung steigt moderat, die Unternehmer loben die Landeschefin. Und das alles bei einer Low-budget-Inszenierung. Wer wagt da zu fragen, ob das sozialdemokratisch alles mit rechten Dingen zugeht? Niemand privatisiert so eifrig und spart so leidenschaftlich wie Heide Simonis. Und verkauft das so cool, daß selbst die Betroffenen sich kaum mucksen.

Da fällt auch den Jusos nichts mehr ein. Der lang versprochene Ausstieg aus der Atomenergie, die Ostseeautobahn, die geplante Elbquerung bei Hamburg – hier könnten sie die Regierung prügeln. Tun sie aber nicht. Murren statt dessen nur leise: „Der Reformschwung von 1987 ist verpufft.“

Die Ministerpräsidentin versteht die Ruhe ein wenig anders: „Das liegt auch daran, daß ich keine Rechte bin, gegen die man Sturm laufen muß, damit ich zu Verstand komme.“ Was sie von ihrem Kollegen Schröder unterscheidet. Wo sich der Niedersachse hemmungslos zum Büttel der Industrie macht – „Ich bin ein Automann“ –, wo er verlangt, man müsse tiefe Einschnitte ins soziale Netz hinnehmen und die ökologische Steuerreform verschieben, da argumentiert Simonis als gute Rote. Schröders Forderungen seien „faktisch falsch“ und „nicht besonders schlau“, fauchte sie.

Wenn sie selbst sozialdemokratische Positionen verrät, stellt sie es klüger an. So hat sie versucht, den Bildungshaushalt ihres Landes zusammenzustreichen. Doch als die zuständige Ministerin sich mit Zähnen und Klauen wehrte, verkaufte Simonis die gescheiterte Sparmaßnahme als großen Erfolg. Überschrift: „An der Bildung wird nicht gespart!“

Es geht eben nichts über eine gute Inszenierung. Auch wenn man sich dabei zum Affen macht. Da tritt ein Damenchor auf, die Ministerpräsidentin reiht sich ein und trällert mit. Flohmarktstreifzüge, Küche und Kochtopf – die Kamera ist dabei. Simonis turtelt und streitelt mit ihrem Mann und probiert die schrecklichsten Hüte an – alles fernsehgerecht. Halb Funkenmariechen, halb Frau Meier von nebenan. „Ich versuch' schon, einen guten Eindruck zu machen“, tut sie unschuldig, „das ist ein Flirt mit den Massen.“

Zum Flirt gehört Erotik. Kein gutes Stück ohne einen Hauch Sex. Doch die deutsche Politik gibt sich mönchisch – die Männer kastriert, die Frauen asexuell. Nicht so Simonis. Ihre kurzen Röcke, der schrille Schmuck, der Hang zum derb- sinnlichen Spruch... Ganz schön dick aufgetragen, um sich als neuen Typus zu verkaufen. „Jahrelang fand ich mich potthäßlich“, spricht ihr rosa geschminkter Mund, „wenn ich so etwas wie Erotik ausstrahle, weiß ich es nicht.“

Noch nie von der erotischen Aura der Macht gehört? Falls Heide Simonis es nicht wissen sollte: Die Macht macht das Beste aus ihrem Typ.