Pompe funèbre etc.
: Im Voyager auf letzter Fahrt

■ Massenauftrieb bei Josef Meinrads Beerdigung. Wien kondoliert

Der Polizist mit Dreitagebart und Sonnenbrille ist völlig überfordert – der Radweg am Wiener Burgring ist von Menschen versperrt, soweit das Auge reicht. Wie viele gekommen sind? Schätzen will der verzweifelte Beamte die Masse lieber nicht. „Geh, können's nicht a bisserl rücksichtsvoll sein und die Verkehrsteilnehmer hier durchlassen!“ Ein letzter halbherziger Versuch des Ordnungshüters, das Chaos zu regeln. Doch die Menge schweigt und trauert. Es ist Montag nachmittag, 13 Uhr. Und schon jetzt reicht die Menschentraube wie eine Mauer in einem großen Bogen halb um das Burgtheater herum. Anstehen für die öffentliche Aufbahrung des Kammerschauspielers Josef Meinrad. 7.228mal soll er auf der Bühne seinem Publikum gedient haben, Bescheidenheit gilt als seine Zier. „Sein Stil war Natur, und Natur war sein Stil“, wird später ein Schauspielerkollege sagen.

Unter den Trauergästen dominiert der Pelzmantel. Die ältere Dame, die aus Linz zu diesem Schauspiel extra angereist ist, fällt aus dem Rahmen in ihrem roten Lodenkostüm. „Wir können doch so dankbar sein, daß wir ihn haben durften, den Josef Meinrad“, sagt sie. „Mit Meinrad geht eben eine Epoche zu Ende. Die Jungen können so etwas nicht mehr.“ Dann schwärmt sie von der Zeit, als sie selbst noch vom Stehplatz des Bühnentempels aus dem Burgschauspieler lauschte, damals in den fünfziger Jahren, als die Russen gerade abgezogen waren. Die Umstehenden nicken wissend. Ein Stück Erinnerung, noch ein Stück vom alten Österreich ist für sie verwelkt. Da muß man dabei sein, vorn in der Schlange warten sie schon seit Stunden.

Und dann der Iffland-Ring. Wer wird den Gral wohl bekommen, rätseln die Trauernden. „Also, kennen Sie den Juhnke, der ist ja auch nicht schlecht, aber ein Piefke wird es ja hoffentlich nicht sein“, sagt ein Mann mit Hornbrille, der bisher zu allem geschwiegen hat. Erst vor einigen Tagen hatte die Presse wieder etwas von „germanischer Besatzungstruppe“ am Burgtheater geschrieben. Eigentlich sollte der neue Gralshüter wieder ein Österreicher sein. Ehrensache.

Man hat sich Mühe gegeben, im Requisitenfundus gestöbert, Statisten angeheuert und überhaupt alles ganz außergewöhnlich gestaltet im Burgtheater. Hausherr Klaus Peymann wacht persönlich über allem. Es ist ein Tag des großen Protokolls. Das Portal der Festspiele ist schwarz verhüllt, silberbestickte Trauerkordeln flattern im Wind. Zwei Totenflammen qualmen olympischen Flammen gleich auf hohen Säulen rechts und links der Tür. Beflissen betroffen blickende Angestellte des städtischen Bestattungsdienstes eilen verhaltenen Schritts umher.

Dann der Aufschrei. Man will das Kondolieren beenden, nach einer Stunde, nicht mal ein Viertel der wartenden Menschen hat den Sarg gesehen. Die Menge heult auf, ein Dutzend Polizisten preßt die ächzenden Türflügel zu. Eine Viertelstunde kämpft die Obrigkeit gegen die kondolenzhungrige Masse. Dann ist die Tür geschlossen. Die Trauerfeier kann beginnen. Draußen harren die Menschen im beißenden Wind. Und trotz der Kälte haben die meisten ihren Hut in der Hand. Es ist eine besonders innige Beziehung, die Österreich zu seinen Toten hat.

Der ewige Fremdling, der Preuße Klaus Peymann, darf dürre Trauerworte sprechen. Dann der Bundeskanzler, Satzfetzen wie „Herzstück einer Generation“ dringen nach draußen. Und Bundespräsident Thomas Klestil will nicht zurückstehen. „Inkarnation des Österreichischen“ sei Meinrad gewesen. Musik.

Wen kann da noch wundern, daß dann auch noch sechs kräftige Männer im Chorknabenkostüm geschritten kommen, den Sarg schultern und nach draußen bringen. Dort wartet ein Voyager-Sondermodell auf die letzte Reise des Sargs, einmal im Kreis um das Burgtheater herum. Witwe, Bundespräsident und -kanzler folgen, dann die geladenen Gäste. Die Gasse zu bahnen ist Schwerstarbeit. Eine Frau bekreuzigt sich verstohlen. So ähnlich sind im Habsburger Reich Kaiser beerdigt worden. Daniel Asche