Zahnpasta vom Mars

Alles schreit Pop in großen Lettern: Madonna HipHop Massaker ist die Band, die sich selbst entwarf. Demnächst auch in deinem Jeansladen  ■ Von Thomas Winkler

Wir sitzen auf „historischem Boden“, grient Rob Zoom. Der Boden ist eine Bühne, und die befindet sich im „Frisör“, der nicht nur so heißt, sondern auch einmal ein ehemaliger Friseursalon war und längst zum legendären Berliner Club mutiert ist. Nicht weit entfernt warten die Friedrichstraße und ihre leerstehenden Gewerbeflächen immer noch auf den schon lange angekündigten Boom, und hier, wo die Berliner Mitte auch nachts eigentlich nicht so recht pulsieren will, hatten Madonna HipHop Massaker ihren ersten Auftritt.

Rob Zoom ist Bassist bei jener Band, deren Stern am sonst so düsteren Berliner Pophimmel zu scheinen begonnen hat. Wie hell, wird die Zeit weisen oder, wie Miss Megatrance, ihres Zeichens Sängerin und Besitzerin von durch ständigen Farbwechsel arg geschundenen Haaren, es formuliert: „Es gibt die Irritation, daß viele denken, wir sind eine Eintagsfliege, ein kreiertes Produkt. Es gibt aber nicht nur die Hülle, sondern es gibt auch eine Band, auch wenn die CD das vielleicht erst mal nicht vermuten läßt.“

Diese CD heißt „Teenie Trap“. Auf ihr finden sich altmodische Punkgitarren, Funkriffs und Reminiszenzen an die goldene Zeit des Synthie-Pop einträchtig neben Technorhythmen und HipHop- Beats, und weil noch etwas fehlte, darf Miss Megatrance gar eine schmachtende Ballade hauchen. Gesungen wird von Küssen auf T- Shirts, von extraordinärer Zahnpasta, von Vergnügen, Sex und Limonade. Alles schreit Pop in großen Lettern, und eine Maschinenstimme eröffnet die Platte: „I need more variety.“ Im Booklet findet sich ein Foto des Trios und darunter der Hinweis: „Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, sind rein zufällig.“ Zusätzlich deuten die Pseudonyme und die ausführliche Merchandising-Liste an, was bereits der erste Song von „Teenie Trap“ auf den Punkt bringt. „I have more fun in being pop“, heißt es dort, und Gitarrist InGo verpackt das im Gespräch in leicht andere Worte: „Wir entwerfen uns selbst.“

Die Anfänge des Trios vor knapp zwei Jahren erinnern ein wenig an die alte, inzwischen fast mystisch verklärte Geschichte vom großen Rock 'n' Roll-Schwindel. In dieser Inszenierung gibt J.A. Skutnik den Malcolm McLaren. Der Mann kam zwar nicht aus einem Klamottenladen, aber vorher produzierte er hauptsächlich Berliner Punkbands, die im besten Fall lokale Berühmtheit erlangten. Dann entdeckte er die Madonnas und ihr „Potential“ und „erarbeitete mit ihnen ein Konzept“. Er investierte sein eigenes Geld, stellte die Platte fertig, um erst dann „die verschiedenen Plattenfirmen gegeneinander auszuspielen. Mit der einen Hälfte haben wir nur verhandelt, um den Preis hochzutreiben.“ Independentfirmen standen von vornherein nicht zur Debatte, denn „Indies in Deutschland sind konservativer als die Majors“.

Aber natürlich ist auch klar, daß ihr Konzept nur bei einer großen Plattenfirma wie EastWest, die schlußendlich den Zuschlag bekam, funktionieren kann. Und das nicht nur wegen des Geldes, das es braucht, um so zu tun, als sei man bereits ein Star. Denn zynisch möchte man nicht sein. „Ich hoffe, es ist subversiv“, meint InGo, während Rob das Gegenteil behauptet. So wie der Bassist auch nichts dagegen hätte, sich von einem Automobilkonzern sponsern zu lassen, Hauptsache die Marke hat Stil: „Der Golf paßt nicht zum Stones- Image, aber gäbe es einen Cadillac ,Mick Jagger‘, das wäre was anderes.“ Aber so ganz einig über Abgrenzungen ist man sich nicht: „Ich will kein Autosponsoring“, wirft Miss Megatrance ein, und eigentlich könne man nur von Fall zu Fall entscheiden, schließlich habe man auch bereits einen „dunklen Punkt“ in der eigenen Bandbiographie. Eine kleine Clubtour wurde von Levi's gesponsert, weswegen man auch dreimal in Jeansläden auftreten mußte. „Es gab zweimal polizeiliche Anzeigen wegen dem Lärm“, freut sich Rob, „60 Prozent Trefferquote.“ Ein bißchen Anarchie im reibungslos klickenden Kommerz, das ist es dann wohl, was InGo „Gratwanderung“ nennt: „Bis zu einem gewissen Punkt ist es subversiv, und wenn du nur einen kleinen Schritt weitergehst, wird es oberflächlich und beliebig. Schlußendlich geht es nur darum, die Kontrolle zu behalten.“ Über die Gefahren des Spagats, den sie versuchen, sind sie sich im klaren. Ob es machbar ist, die Brücke zu schlagen zwischen Underground und Mainstream, diese Frage wäre noch zu klären.

InGo: „Ich weiß nicht, was Underground ist. Sind wir jetzt Underground, weil wir zufälligerweise nicht in den Charts sind, weil wir noch nicht in der Bravo waren? Oder sind wir Underground, weil die Musik doch ein bißchen anders ist, weil doch nicht alles so Hochglanz ist?“

Miss Megatrance: „Aber es stimmt schon. Eigentlich ist ja der Wunsch da, immer Geheimtip zu bleiben.“

Rob: „Ein Geheimtip, den jeder kennt.“

Miss Megatrance: „Ja, genau! Der ewig blühende Geheimtip.“

Und während auf dem vielleicht einmal tatsächlich historischen Boden des „Frisör“ ihr neuestes Video gedreht wird, machen Madonna HipHop Massaker zumindest schon mal eine wichtige Erfahrung des Popstardaseins: Man wartet, weil immer wieder mal der Strom bei der einen oder anderen Steckdose ausfällt. Seit heute morgen haben sie nichts mehr gegessen und statt dessen bei 13 Grad minus Außenaufnahmen im Wedding gemacht. Auf der Theke dampfen wartend Wiener Würstchen. Die Frage bleibt, ob der Spaß eigentlich erst anfängt, wenn man Popstar ist. Oder ob es nicht vielmehr viel lustiger ist, so zu tun, als sei man bereits einer.

Madonna HipHop Massaker: „Teenie Trap“ (EastWest)

Tournee: 1.3. Bad Salzuflen, 2.3. Schöppingen, 3.3. Oldenburg, 4.3. Hamburg, 5.3. Kiel, 6.3. Leipzig, 13.3. Wuppertal, 14.3. Duisburg, 15.3. Rees-Haldern, 16.3. Mülheim, 17.3. Koblenz, 19.3. Köln, 20.3. Bühl, 22.3. Nürnberg, 23.3. München, 24.3. Ulm, 26.3. Mönchengladbach, 27.3. Harkebrügge, 29.3. Berlin, 24.4. Reichenbach