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Pfusch am Bauch – und an der Seele

Jahrelang Pillen, Spritzen, Schläuche und Sonden: Ungewollte Kinderlosigkeit nimmt zu, die Reproduktionsmedizin boomt. Schnell werden Frauen zu Patientinnen – seltener werden sie auch Mutter  ■ Von Constanze von Bullion

Um fünf Uhr morgens stand sie auf. Um sieben nahmen sie ihr Blut ab. Dann legte sie sich auf den Untersuchungsstuhl. Sonden, Schläuche und Spritzen, alles ganz normal. Um halb acht ging sie zur Arbeit. Ein gewöhnlicher Morgen, jahrelang. Martine Friedmannn- Winter wollte ein Kind. Für sie ist das immer noch „die natürlichste Sache der Welt“.

Jetzt sitzt die 43jährige Französin auf dem Sofa und stillt ihren Sohn. Vor fünf Wochen kam Nicolas auf die Welt, erwartet worden war er seit vier Jahren. „Ungewollte Kinderlosigkeit“ hieß die Diagnose, mit der sich seine Mutter durch zahllose Berliner Arztpraxen quälte. Umsonst, wie sie heute weiß. Schwanger wurde sie erst, nachdem die Schulmediziner sie aufgegeben hatten. Zehn bis 15 Prozent aller heterosexuellen Paare in Deutschland wollen ein Baby und bekommen keines. Daß das männliche Sperma in Industrieländern nicht mehr viel taugt, ist bekannt. Und ein Drittel aller Frauen im gebärfähigen Alter, so neueste Studien, haben eine unfruchtbare Phase im Leben. Die Ursachen der Sterilität liegen etwa zu gleichen Teilen bei Männern und Frauen. Doch fast immer ist es der weibliche Unterleib, an dem herumgedoktert wird. Monatelang warten Gebärwillige inzwischen vor Deutschlands rund 70 „Kinderwunschpraxen“. Die Reproduktionsmedizin boomt.

Mit moderner Technik haben Martine und Franz Winter eigentlich wenig am Hut. Martine arbeitet als Übersetzerin an der Uni, Abteilung Dinosaurier. Zu Hause tragen Franz und sie Filzpantoffeln, essen nie Fleisch, und auf Martines Haut kommt nur Wasser und tierversuchsfreie Kosmetik. Die schräge Welt der Pillenfreaks lernte sie erst kennen, als sie mit ihrer Frauenärztin übers Kinder- kriegen sprach. Damals war sie 39. Die biologische Uhr tickte.

Martine landete in der Berliner „Kinderwunschpraxis“ Schwarz und Daniel. Ein renommierter Laden, Befruchtung wie am Fließband, jeder Termin rund zehn Minuten, die Patientinnen sprechen gern von der „Kuhbesamungsstation“. Nach dem Hormontest war alles klar: „Die haben mir sofort Insemination vorgeschlagen.“

Zwei- bis dreimal die Woche mußte Martine von da an in der Praxis aufkreuzen, sechsmal machte sie die ernüchternde Prozedur mit. Rauf auf den Stuhl, Beine breit, rein mit dem Schlauch, runter vom Stuhl. Vor jeder Runde mußte Franz Winter „in so eine Kabine mit Pornoheften“, brachte sein Sperma in einer „kleinen Dose mit Deckel“ auf dem Altar der Wissenschaft dar. Ohne Erfolg.

Nebenher lief die Hormonbehandlung mit drei verschiedenen Präparaten: eins für die Schilddrüse, eins zur Stimulation des Eisprungs und abends Cortison. Dazu die Spritzen zur Zyklussteuerung und die Eisenpillen. Die hat Martine nicht genommen. Die übrigen schluckte sie, Tag für Tag. Sie nahm zehn Kilo zu. Über Folgewirkungen des hormonellen Overkills hatte sie niemand aufgeklärt. Wenn sie klagte, wurde ihr kühl geantwortet, sie habe es ja selbst so gewollt.

Welche Nebenwirkungen hochdosierte Hormoncocktails im weiblichen Körper auslösen, ist weitgehend unerforscht. Im dunkeln tappen die Fachleute auch bei den Spätfolgen der neuerdings favorisierten GnRH-Antagonisten, die unmittelbar auf die Hormon- zentrale im Gehirn zugreifen. Routinemäßig wird den Patientinnen mitgeteilt, sie hätten mit Stimmungsschwankungen und Schweißausbrüchen zu rechnen.

KritikerInnen weisen dagegen seit Jahren auf Kopfschmerzen und Zysten, Brustkrebsrisiko und eine mögliche Sterilität der Kinder hin. Neben Gesundheitsschäden drohe eine totale Fremdsteuerung der Frauen. Hören will das niemand.

Wie stark der Eingriff in ihr Leben war, merkte Martine Friedmann-Winter erst, als die Roßkur längst auf Hochtouren lief. Auf offener Straße brach sie plötzlich in Tränen aus, wenn sie Mütter mit Babys sah. Regelmäßiger Tiefpunkt des Monats war der Tag, an dem sie ihre Periode bekam. Nervös wurde auch ihr Mann, der es „kaum noch aushalten konnte, wenn sie so deprimiert war“. Immer häufiger beschlich ihn das unheimliche Gefühl, etwas Verbotenes zu tun, „und zum Schluß kommt dann ein krankes Kind raus“.

Ein vorläufiges Ende fand die seelische Achterbahnfahrt erst, als man festgestellte, daß Martines Eileiter verstopft waren. Schwanger hätte sie trotz Insemination nicht werden können. Profitiert hatten von dem Behandlungsmarathon nur die Ärzte. Für Martine ein „totaler Schock“.

Doch Aufhören wäre für die energische Rothaarige einer Kapitulation gleichgekommen. Längst hatte sich bei ihr der Effekt eingestellt, den Insider den „Sog der Reproduktionstechnik“ nennen. Je öfter sie Enttäuschungen erleben, desto hartnäckiger klammern sich manche Patientinnen an die vermeintliche Allmacht der Ärzte. Was der Körper verweigert – der Doktor wird‘s schon richten. „Du hättest nie freiwillig Schluß gemacht“, erinnert Franz seine Frau an ihren Seelenzustand, der wohl am ehesten mit einer Sucht vergleichbar ist. Martine sieht das anders. „Man hofft eben“, meint sie achselzuckend. Im Herbst 1993 entschied sich Martine für In-vitro- Fertilisation.

Fortan ertrug sie, daß man ihr für die Ei-Ernte mit einer Nadel durch Vagina und Eierstöcke stach. Sie nahm es hin, daß man sie mehrfach künstlich in die Wechseljahre versetzte, um ihre Eizellen pünktlich zum Rendezvous ins Reagenzglas zu bringen. Sie nahm weiter Hormone, damit ihre Eierstöcke statt eines Eies fünf oder sechs produzierten. Sie ignorierte die Warnungen vor Mehrlings- oder Frühgeburten. Sie fand sich damit ab, daß niemand weiß, was im Labor mit den „überzähligen“ Embryonen geschieht. Sie gewöhnte sich auch an Sex nach Terminplan und die moralische Entrüstung ihrer Freunde. Doch was sie nicht aushielt, war die Kaltschnäuzigkeit, mit der sie in der Berliner Rudolf-Virchow-Klinik abgefertigt wurde.

„Eisig“, so erinnert sie sich, habe Chefarzt Heribert Kentenich Beratung und Behandlung durchgezogen. Fragen beantwortete er ausschließlich mit technischen Erklärungen, die Psyche habe ihn „nicht so interessiert“. Als Martine einmal unter Betäubung bei einem Nadelstich zurückschreckte, fuhr er sie an: „Wenn Sie so zucken, schicke ich Sie nach Hause.“ Heribert Kentenich stört solche Kritik nicht. Der ehrgeizige Mediziner, dem nur selten ein Lächeln übers Gesicht huscht, hat Erfolg. Mit 49 Jahren leitet er eine der großen Berliner Frauenkliniken und steht der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Geburtshilfe und Gynäkologie vor. Von der Boulevardpresse läßt sich der prominente Babymacher gern als einfühlsamer Softie feiern und erklärt, daß bei ihm nicht die Erfolgsstatistik, sondern die psychologische Betreuung im Vordergrund stehe. „Individuell behandeln“ und „den Körper entscheiden lassen“, sei die zeitgemäße Devise.

Doch was Martine in seiner Klinik erlebte, geht über unsensible Blitzabfertigung hinaus. Zweimal hätte sie noch mitmachen können im Retortenroulette, als sie im Juli 94 zu ihrer alte Frauenärztin ging. Die schob ihr ein Schreiben über den Tisch, abgezeichnet von Heribert Kentenich. „Primär tubensteril“ sei die „nunmehr 41jährige Patientin“, teilte er der Gynäkologin mit, außerdem ein „low-responder“, zu deutsch ein Fall mit mangelnder Resonanz. „Am sinnvollsten“ sei es daher, „die IVF-Therapie zu beenden“.

Für Martine ging die Welt unter. Als sie das nächste Mal mit Kentenich reden konnte und ihn auf seine Diagnose ansprach, weinte sie. Cool steckte er ihr die Telefonnummer der zuständigen Psychologin zu. Seelische Betreuung durch den Arzt: Fehlanzeige. Erinnern kann sich der vielbeschäftigte Professor heute nicht mehr an das Gespräch, „wie das konkret war“, von Serienabfertigung will er nichts hören. Das Thema Sterilität, meint er, gehe bekanntlich „an die innere Substanz“, da werde „viel verdrängt und projiziert“. Im Klartext – die Frauen kapieren nichts und erzählen Märchen.

„Echt fertig“ aber war Martine erst, als sie nach einem Arztwechsel erfuhr, daß der Gyn-Guru vier große Zysten übersehen hatte, die sich in ihrer Gebärmutter eingenistet hatten. Eine Fehldiagnose war auch die von ihm behauptete „Tubensterilität“. Martine hatte keine verschlossenen Eileiter. Kentenich hatte die Diagnose ungeprüft von seinen Vorgängern übernommen – und Martine über ein Jahr lang sinnlos „behandelt“.

Wie überflüssig der Gewaltmarsch durch die Retortenwelt oft ist, wissen Regina Stolzenberg und Monika Fränznick vom Feministischen Frauen-Gesundheitszentrum Berlin schon lange. Seit zwölf Jahren fördern sie eine „aktive Auseinandersetzung mit Kinderlosigkeit“ und suchen Wege jenseits der Schulmedizin. Schluß sein soll mit der Isolation, in die sich gebärfixierte Paare oft jahrelang begeben. Denn ungewollte Kinderlosigkeit – ob therapiert oder nicht – ist noch immer ein Tabuthema.

Hilfe bedeutet es da manchmal schon, endlich offen über Niederlagen und Neid, Seelenkrampf und Sex zu reden – und über die Kränkung hinwegzukommen, die „natürlichste Sache der Welt“ nicht hinzukriegen. Wenn eine Frau trotzdem nicht Abschied nehmen will vom selbstgebastelten Baby, werden ihr Rotklee, Brennesseln oder Himbeerblätter empfohlen, anderen Yoga oder eine pflanzliche Diät. Reproduktionstechniker können da nur müde lächeln. Martine interessiert das nicht, sie braucht die Babymacher nicht mehr. Nach ihrer Myom-Operation fuhr sie zur Kur, speckte ab und leierte das Adoptionsverfahren an. Irgendwann schaute ihr eine Akupunkteurin kurz auf die Zunge und registrierte Störungen an den hormonbildenden Nebennieren. Viermal hatte die Chinesin in die Haut ihrer Patientin gepiekst, als bei Martine wieder mal die Periode ausblieb.

Genervt machte sich Martine auf den Weg zum Hormontest. Doch diesmal konnte nichts Besonderes festgestellt werden – außer einer Schwangerschaft.

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