Zum ersten Mal hat die Bundesanwaltschaft Haftbefehl gegen zwei mutmaßliche Mitglieder der Antiimperialistischen Zelle (AIZ) erlassen. Die derzeit "gefährlichste Terrorgruppe" bekennt sich zum Islam "in seiner vollen Schärfe und Schönheit"

Zum ersten Mal hat die Bundesanwaltschaft Haftbefehl gegen zwei mutmaßliche Mitglieder der Antiimperialistischen Zelle (AIZ) erlassen. Die derzeit „gefährlichste Terrorgruppe“ bekennt sich zum Islam „in seiner vollen Schärfe und Schönheit“

Eine höchst obskure Linksguerilla

Die Fahnder des Bundeskriminalamts waren baff. Im Laufe des Sonntags hatten sie offenbar zugeschaut, als die mutmaßlichen Mitglieder der „Antiimperialistischen Zelle“ (AIZ) Bernhard F. und Michael S. ein erst vierzehn Tage zuvor von ihnen angelegtes Sprengstoffdepot nordöstlich von Berlin räumten und 3,5 Kilogramm Schwarzpulver in ihren weinroten VW-Passat mit Pinneberger Kennzeichen luden. Am späten Abend desselben Tages griffen schleswig- holsteinische Polizeibeamte im Örtchen Witzhave vor den Toren Hamburgs zu. Fast vierzehn Stunden umkreisten die Verfolger nach der Festnahme der unbewaffneten Verdächtigen das Fahrzeug. Zunächst mit, dann ohne einen Spezialsprengstoffroboter. Am Ende stand fest: Das Schwarzpulver war verschwunden. „In flagranti“ jedenfalls waren die ersten mutmaßlichen Mitglieder der obskuren Linksguerilla den Fahndern nicht ins Netz gegangen. Der Zugriff, den Generalbundesanwalt Kay Nehm als „Herr des Verfahrens“ angeordnet hatte, war möglicherweise zu früh erfolgt. Hinweise auf einen bevorstehenden Anschlag ergaben sich bis gestern nachmittag nicht.

Immerhin, es reichte für einen Haftbefehl. Am Montag abend stellte ihn der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs aus. Beide Männer sollen „seit spätestens Dezember 1995“ der AIZ angehören und verantwortlich sein für den bislang letzten Anschlag der Truppe. Der Sprengsatz war am 23. Dezember letzten Jahres nachts um 0.38 Uhr vor einem Düsseldorfer Bürogebäude detoniert, in dem unter anderem der peruanische Honorarkonsul residiert. Symbolisch treffen sollte er das diktatorische Regime in Lima und seine Unterstützer in der Bonner Regierung. Weil dem mit Schwarzpulver gefüllten Feuerlöscher zur Verstärkung der Splitterwirkung 2,5 Kilogramm Krampen beigefügt waren, lautet der Haftbefehl auch auf „versuchten Mord“. Der Sachschaden betrug rund 60.000 Mark.

Der Knall von Düsseldorf muß praktisch unter den Augen der Fahnder stattgefunden haben. Sie hatten, so berichtete gestern der Generalbundesanwalt, den weinroten Passat des Beschuldigten S. bereits während der Ausspähung des Gebäudes durch die Täter observiert. Zwei Stunden vor der Tat war er zwei Kilometer vom Tatort geparkt. Außerdem seien die Beschuldigten „unmittelbar nach dem Anschlag“ im Raum Göttingen beobachtet worden, von wo das nachgereichte Bekennerschreiben versandt wurde.

Bernhard F. und Michael S. befanden sich also schon länger und offenbar rund um die Uhr im Visier der Terrorfahnder. Nach Informationen der taz waren die Beschuldigten für die Behörden keine Unbekannten. Im Januar 1992 hatten beide – wegen der Südafrika-Connection des Ölmultis Shell – angeblich an einer Reihe von Shell-Tankstellen in Hamburg und Aachen die Schläuche zerschnitten und Schlösser verklebt und waren dafür 1994 zu 11 und 12 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Die Parole damals: „Fight racism, fight imperialism“. Auch bei einer bundesweiten Großrazzia gegen die Untergrundzeitschrift radikal und mögliche Mitglieder der AIZ im Juni 1995 gehörten ihre Wohnungen zu den durchsuchten Objekten.

Ob die Strukturen der AIZ durch den Schlag vom Sonntag abend nachhaltig geschwächt sind, mochten Staatsschützer gestern nicht voraussagen. Dazu wisse man einfach zuwenig über die Truppe. Möglicherweise seien die Festgenommenen, beide haben Physik studiert, jedoch die „Bastler“ der Gruppe, die für die Herstellung der Selbstbausprengsätze zuständig waren.

Der Hamburger Verfassungsschutzchef Ernst Uhrlau, der die AIZ vor einiger Zeit als gefährlicher eingestuft hatte als die RAF, präzisierte gestern gegenüber der taz diese Aussage. Zum einen habe die RAF den bewaffneten Kampf derzeit praktisch aufgegeben, zum andern sei die AIZ unberechenbar, weil sich ihre Anschläge gerade nicht gegen das Spitzenpersonal der Republik, sondern gegen „Eliten“ aus der zweiten und dritten Reihe richteten.

Eine „wirkliches Problem“ sieht Uhrlau in dem ideologischen Bezug der AIZ auf islamisch-fundamentalistische Gruppen und die damit einhergehende Abkopplung von der radikalen Linken hierzulande. Die Erklärung zum Anschlag auf das peruanische Honorarkonsulat Ende 1995 hatten die Täter mit der Zeile „aktion khaled kelkal antiimperialistische zelle“ gezeichnet. Khaled Kelkal war im letzten Herbst von einem französischen Sondereinsatzkommando unter dem Verdacht erschossen worden, für die blutige Anschlagserie des Jahres 1995 in Frankreich mitverantwortlich zu sein. „Das“, warnt Uhrlau, „ist bei zunehmender Isolation der AIZ die neue Qualität, die dabei herauskommen kann.“ Gerd Rosenkranz