Aus der Zeit der Liebeserfindung

■ Der taiwanesische Regisseur Ang Lee verfilmt in Sinn und Sinnlichkeit einen Roman von Jane Austen und bekam für diesen Kulturtransfer erwartungsgemäß den goldenen Bären verliehen

Wie Hugh Grant sich mit einigen sparsamen Gesten als zukünftiger Lebenspartner empfiehlt, zählt zu den Höhepunkten dieses Films. Das ist wirklich Liebe auf den ersten Blick, nicht nur erotische Anziehung – durchaus verständlich, daß seine Filmpartnerin und Drehbuchautorin Emma Thompson gleich hin und weg ist. Lovely Hughy jedoch ist bald darauf nur noch weg. Hat Emma ihn damit schon wieder verloren, nachdem sich gerade die ersten zarten Bande zwischen ihnen knüpften? Abwarten. Liebe braucht die Herausforderung. Jedenfalls läßt sich dann besser von ihr erzählen.

Diese Geschichte aus dem England des achtzehnten Jahrhunderts, der Zeit, als die Liebe erfunden wurde, erzählte zuerst Jane Austen in ihrem Roman Verstand und Gefühl. Warum der Filmtitel geändert wurde, haben die Produzenten nicht verraten. Jedenfalls ist er schwächer als der Romantitel.

Zwei Schwestern stehen im Zentrum der Handlung: die vernünftige Ältere (Emma Thompson), die sich für das Wohlergehen der Familie verantwortlich fühlt, und die Jüngere, gespielt von Kate Winslet, die sich ihren Gefühlen hingibt. Der Königsweg zum Glück liegt natürlich irgendwo dazwischen, aber das müssen die beiden erstmal lernen. Liebe braucht Reife.

„Austen“, meint Regisseur Ang Lee, „beschreibt das traurige Gefühl des Erwachsenwerdens und wie wir erst durch die Erfahrung von großem Schmerz etwas über wahre Liebe und Integrität lernen. Diese Art des Kampfes prägt unser Leben in der einen oder anderen Richtung – das ist universell.“ Deswegen hatte der aus Taiwan stammende Regisseur (Das Hochzeitsbankett, Eat Drink Man Woman) auch keine Probleme mit der Umsetzung der europäischen Geschichte: „Unter den fremden Konventionen und Kostümen habe ich eine starke und direkte geistige Verwandtschaft mit meiner eigenen Tradition gefunden. In beiden Gesellschaften gibt es einen ähnlichen Drang nach Harmonie und den Wunsch, einen Ausgleich zwischen Gegensätzlichkeiten zu erreichen.“

Neben exzellenten Schauspielern und einer detailgetreuen Ausstattung ist es vor allem die gelungene Dosierung des Humors, die die harmonische Ausgewogenheit dieses Liebesmenüs garantiert. Skurrile Charaktere und auch die eine oder andere Slapstick-Einlage sorgen für das nötige Maß an ironischer Distanz, um den Film vor dem Abgleiten ins allzu Schmalzige zu bewahren. Wer will, kann aber natürlich auch einen wohligen Schauer empfinden, wenn Kate Winslet, die sich bei einem Sturz den Knöchel verletzt hat, vor sich im strömenden Regen auf einmal die hoch aufragende Silhouette von Roß und Reiter aufragen sieht. Das ist perfekter Kitsch, klar – aber was wären Liebesfilme ohne ihn?

Hans-Arthur Marsiske

Streit's