: Der Importschlager aus dem Westen
■ In Ostdeutschland wächst, was im Westen entstand: kommunale Frauenpolitik
Im schwäbischen Ellwangen gründete Gisela Mayer 1979 die erste freie Frauenliste. Mayer ist die Galionsfigur dieser frauenpolitischen Bewegung. Seit 1980 ist sie mit ihrer Liste sowohl im Gemeinde- als auch im Kreistag der Gemeinde vertreten. Jetzt wird sie für ihre Arbeit am 10. März 1996 den Barbara-Künkelin-Preis verliehen bekommen. Im kleinen Schorndorf bei Stuttgart hatte die kämpferische Künkelin 1688 mit der Hilfe anderer Bürgerinnen den Einmarsch der Franzosen in ihre Stadt verhindern können. Als „Die Weiber von Schorndorf“ gingen sie in die Geschichte ein.
Seit einigen Jahren ehrt eine 12köpfige Frauenjury der Stadt Schorndorf alle zwei Jahre eine mutige und engagierte Frau, die sich wie die „Weiber“ ohne Männerhilfe für die Allgemeinheit eingesetzt hat. Gisela Mayer erhält den mit 10.000 Mark dotierten Preis für ihr 17jähriges frauenpolitisches Engagement. Insgesamt 75 Frauenlisten gibt es mittlerweile dank ihrer Initiative in der gesamten Bundesrepublik.
Anfang der 80er Jahre hatte Mayer vermutlich noch keinen Gedanken daran verschwendet, ihre Aktivitäten – zumindest kurzfristig – in den Osten Deutschlands zu verlegen. Rege Anfragen aus den neuen Bundesländern belehrten sie nach 1989 eines Besseren. Mit anderen Frauen organisierte sie deshalb 1993 einen Bus und startete zu einer Infotour durch die neuen Bundesländer, um den Frauen dort ihr politisches Erfolgsmodell vorzustellen.
Die Saat trug Früchte. In vielen Städten und Gemeinden der neuen Bundesländer haben unabhängige Frauenlisten den Sprung in die Stadtverordnetenversammlungen geschafft. Allein in Blankenfelde stellen sie 3 der insgesamt 18 Stadtverordneten, in Cottbus immerhin 3 von 50 StadtparlamentarierInnen. Und in Wittstock, Neuruppin, Ludwigsfelde sowie Königs Wusterhausen sitzt jeweils eine Frau in den Versammlungen. In Zeitz schaffte eine Frau erstmals 1995 den Sprung in den Kreistag. Insgesamt gibt es 12 Frauenlisten im Osten.
Birgit Uhlworm ist die Vertreterin der „Grünen unabhängigen Frauenliste“, die in Königs Wusterhausen Interessen, die Frauen an sie herantragen, im Stadtparlament vertritt. An jedem dritten Mittwoch im Monat lädt sie zu einem Frauenstammtisch ein, um Stimmungen und Probleme der Frauen einzufangen und um die Frauen gleichzeitig zu politischem Engagement zu ermuntern. Die Probleme, die zur Zeit anstehen, drehen sich fast ausschließlich um Kinder. Mangels Nachwuchs droht Kindertagesstätten wegen zu geringer Auslastung die Schließung, das Kindergeld soll Familien zukünftig auf das Einkommen angerechnet werden. Beide Sparmaßnahmen der Stadtregierung konnte Uhlworm in ihrer Funktion und mit Hilfe engagierter Eltern bisher abschmettern. Geschafft hat sie es mittlerweile auch, daß die Stelle der Gleichstellungsbeauftragten nach deren Ermordung am 12. Februar 1996 wiederbesetzt wurde. Seit September 1995 hatte sie auf Eis gelegen.
Birgit Uhlworm mag keine Prognosen über die Zukunft der Frauenlisten aufstellen, weil die Erfahrungen in allen Kommunen unterschiedlich seien. „Noch engagieren sich die Frauen nur, wenn sie selbst betroffen sind“, sagt Uhlworm. Ihre Arbeit erleichtere das nicht unbedingt. Dennoch ist sie zuversichtlich. Rund um den 8. März, den Internationalen Frauentag, werben die Frauenbeauftragten und Frauenlisten im Landkreis mit einem bunten Programm und hoffen auf weiteren Zulauf.
Gisela Mayer glaubt, die Frauen im Osten hätten nicht dieselben Probleme wie sie im Westen. Die Ostfrauen fänden in ihrer Arbeit größere Anerkennung. In Cottbus arbeiten sogar Frauen in Ausschüssen, die noch nicht ins Rathaus gewählt sind. Im Westen dagegen verwehren die Männer selbst den im Stadtparlament vertretenen Frauen den Zutritt zu den Ausschüssen. Der Westmisere Abhilfe verschaffen könne nur eine breitere Frauensolidarität. Seit 17 Jahren fragt sich Mayer: „Wen wählen eigentlich die 52 Prozent Wählerinnen?“ Petra Welzel
Veranstaltungshinweis: „Warum fehlt ostdeutschen Frauen politisches Engagement?“, ein Streitgespräch mit Uta Schlegel, Leipzig, im: Kulturhaus Altes Rathaus, Potsdam, Am Alten Markt 9, 6.März 1996, 18 Uhr
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