Friedensgespräche um Nordirland kommen im Juni wieder in Gang

■ Anglo-irischer Gipfel für Allparteiengespräche am 10. Juni. Bedingung ist ein neuer Waffenstillstand

Dublin (taz) – Was der Partei Sinn Féin in den vergangenen anderthalb Jahren mit friedlichen Mitteln nicht gelungen ist, hat die IRA mit zwei Bombenanschlägen in London erreicht: Die britische und die irische Regierung haben sich gestern bei einem Gipfeltreffen der Regierungschefs John Major und John Bruton auf einen verbindlichen Termin für nordirische Allparteiengespräche geeinigt. Am 10. Juni werden sich alle beteiligten Gruppen zu Verhandlungen über die Zukunft Norirlands treffen.

Ob Sinn Féin, der politische Arm der IRA, am Runden Tisch überhaupt platznehmen darf, hängt davon ab, ob die IRA einen neuen Waffenstillstand eingehen wird. Eine Entscheidung darüber wird in den nächsten 24 Stunden erwartet. Schon am Montag werden die ersten bilateralen Vorgespräche beginnen. Sie sollen innerhalb von 14 Tagen abgeschlossen sein.

Danach will die britische Regierung ein Gesetz verabschieden, das die vorgesehenen Wahlen in Nordirland regelt. Dabei geht es um die Frage, ob nach Listen oder per Direktwahl gewählt wird. Ersteres würde Parteien wie die katholischen Sozialdemokraten und die kleinere Democratic Unionist Party (DUP) des Presbyterianer- Pfarrers Ian Paisley begünstigen, die bei Europawahlen stets besser abschneiden als bei britischen Parlamentswahlen, wo in 18 Wahlkreisen Direktkandidaten gewählt werden.

Erster Verhandlungspunkt am 10. Juni werden die sog. „Mitchell- Prinzipien“ sein: Der frühere US- Senator George Mitchell hatte vorgeschlagen, die paramilitärischen Waffen parallel zu den Gesprächen auszumustern. Außerdem sollen sich alle Beteiligten von vornherein dazu verpflichten, die Ergebnisse der Allparteiengespräche vorbehaltlos anzuerkennen.

Die beiden Regierungschefs John Major und John Bruton hatten sich erst bei zwei Telefonaten in der Nacht zu gestern auf ein Gipfeltreffen in London geeinigt, das mittags begann. Ursprünglich sollten schon im Februar die Allparteiengespräche in Gang sein. Im Januar machte Major jedoch einen Rückzieher und verlangte Wahlen als „Nachweis für ein demokratisches Mandat“. Die ständige Verzögerungstaktik veranlaßte die IRA zur Aufkündigung des Waffenstillstands.

Die Bevölkerung in Großbritannien und Irland ist optimistisch: Eine gemeinsame Umfrage der Irish Times und des Guardian ergab, daß eine deutliche Mehrheit auf beiden Inseln glaubt, der Friedensprozeß könne trotz der IRA- Bomben in London wieder in Gang gebracht werden. An der Frage, wer an der verfahrenen Situation Schuld sei, scheiden sich jedoch die Geister: In der Republik Irland macht fast die Hälfte der Befragten die britische Regierung verantwortlich, in Nordirland ist es dagegen nur ein Viertel und in Großbritannien sogar nur ein Fünftel. Dort halten knapp 60 Prozent die IRA für den Sündenbock. Ralf Sotscheck