Neue Termine für den Friedensprozeß in Nordirland

■ Anglo-irischer Regierungsgipfel einigt sich auf baldige Allparteiengespräche. Bedingung: Neuer Waffenstillstand

Dublin (taz) – Was der Partei Sinn Féin in den vergangenen anderthalb Jahren mit friedlichen Mitteln nicht gelungen ist, hat die IRA mit zwei Bombenanschlägen in London erreicht: Die britische und die irische Regierung haben sich gestern beim Gipfeltreffen der Regierungschefs John Major und John Bruton auf einen verbindlichen Termin für nordirische Allparteiengespräche geeinigt. Wann das sein wird, stand bei Redaktionsschluß noch nicht fest. Ebensowenig war bekannt, ob Sinn Féin, der politische Arm der IRA, am Runden Tisch überhaupt platznehmen darf. Die Mindestbedingung, soviel war bekannt, ist ein neuer Waffenstillstand.

Vermutlich verlangen die beiden Regierungen von Sinn Féin darüber hinaus die Anerkennung der „Mitchell-Prinzipien“: Der frühere US-Senator George Mitchell hatte vorgeschlagen, die paramilitärischen Waffen parallel zu den Gesprächen auszumustern. Außerdem sollen sich alle Beteiligten von vornherein verpflichten, die Ergebnisse der Allparteiengespräche vorbehaltlos anzuerkennen.

Was die nordirischen Wahlen angeht, so sollen sie nach einem Listensystem ohne Unterteilung in Wahlkreise durchgeführt werden. Das würde Parteien wie die katholischen Sozialdemokraten und die kleinere Democratic Unionist Party (DUP) des Presbyterianer- Pfarrers Ian Paisley begünstigen, die bei Europawahlen stets besser abschneiden als bei britischen Parlamentswahlen, wo in 18 Wahlkreisen Direktkandidaten gewählt werden. Aus diesem Grund hatten sich die DUP-Abgeordneten am Montag bei der Abstimmung über die Irakgate-Affäre der Stimme enthalten und den Sturz der Tory- Regierung vorerst verhindert.

Die beiden Regierungschefs John Major und John Bruton hatten sich erst bei zwei Telefonaten in der Nacht zu gestern auf ein Gipfeltreffen in London geeinigt, das mittags begann. Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams sagte am Morgen, er hoffe, daß dabei ein verbindlicher Termin für Allparteiengespräche herauskomme. Bereits im November hatten London und Dublin Ende Februar dafür „fest anvisiert“. Im Januar machte Major jedoch einen Rückzieher und verlangte Wahlen als „Nachweis für ein demokratisches Mandat“. Die ständige Verzögerungstaktik veranlaßte die IRA zur Aufkündigung des Waffenstillstands.

Die Bevölkerung in Großbritannien und Irland ist dennoch optimistisch: Eine gemeinsame Umfrage der Irish Times und des Guardian ergab, daß eine deutliche Mehrheit auf beiden Inseln glaubt, der Friedensprozeß könne trotz der IRA-Bomben in London wieder in Gang gebracht werden. An der Frage, wer an der verfahrenen Situation Schuld sei, scheiden sich jedoch die Geister: In der Republik Irland macht fast die Hälfte der Befragten die britische Regierung verantwortlich, in Nordirland ist es dagegen nur ein Viertel und in Großbritannien sogar nur ein Fünftel. Dort halten knapp 60 Prozent die IRA für den Sündenbock. Ralf Sotscheck