Noch eine Vulkan-Tochter pleite

■ Maschinenfabrik Dörries Scharman stellt Vergleichsantrag: Mahnwachen und Demonstrationen der Belegschaft

Mönchengladbach (taz) – Ihr erster Weg am frühen morgen führt die Beschäftigten im Stammwerk des Werkzeugmaschinenherstellers Dörries Scharmann in Halle 6. Dort verkündet die Geschäftsleitung die schlechte Nachricht: „Das Bankenkonsortium hat entschieden, die gesperrten Kredite zur Zeit nicht wieder freizugeben, wir stellen Vergleichsantrag.“ „Kritisch“ hätten die Banker bei der abendlichen Sitzung im Neusser Swiss-Hotel zudem die Chancen für das vorgeschlagene Sanierungskonzept bewertet.

Die Wut der 500 Anwesenden ist unterschwellig, eher herrscht Resignation. Sie haben ihn kommen sehen, den drohenden Verlust der insgesamt 3.200 Arbeitsplätze, die Hälfte davon an deutschen Standorten. Ende letzten Jahres schon war bekannt geworden, daß das Traditionsunternehmen ein Minus von 220 Millionen Mark eingefahren hatte. Das Loch wurde mühevoll gestopft – hauptsächlich mit Hilfe einer 170-Millionen-Mark-Injektion der Bremer Muttergesellschaft Vulkan. Was damals keineR der ArbeitnehmerInnen wußte: Vulkan hatte die Gelder aus dem 716-Millionen- Mark-Topf der Europäischen Union für seine ostdeutschen Werften zweckentfremdet. Für weitere Verluste, die auch in diesem Jahr drohen, will nun niemand mehr geradestehen.

„Ich weiß nicht, wo ich hingehen könnte“, sagt ein Arbeiter. „Hier macht doch alles dicht. Nebenan, bei Schlafhorst, sind gerade 900 Stellen abgebaut worden, die ganze Industrie in der Region geht den Bach runter.“ „Die Arbeitslosigkeit in Mönchengladbach liegt bei 13 Prozent“, weiß Gewerkschaftssekretär Raimund Strauß.

Sauer sind die Blaukittel vor allem auf die Commerzbank. „Wo bleibt die soziale Verantwortung der Banken?“ fragt ein Transparent. Die Hausbank, glauben die Beschäftigten, habe sie vorschnell fallen lassen. Dabei seien doch die Auftragsbücher für dieses Jahr voll und die Genesung nur eine Frage der Zeit. Maschinen im Wert von 20 Millionen Mark stünden im Werk und könnten nicht an die Kunden ausgeliefert werden, weil das Geld für einige zugelieferte Teile fehle.

Auch die Unternehmensleitung steht im Kreuzfeuer der Kritik. „Das sind Kaufleute, keine Techniker“, murrt ein Betriebsrat. Teile der Produktion seien an andere Standorte ausgelagert worden, unter anderem zu Škoda nach Tschechien. Die Folgen: fehlerhaftes Material, Zeitverzögerungen, Lieferschwierigkeiten und Konventionalstrafen. „1994 haben wir mit einem Plus abgeschlossen“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Josef Otten. „Es ist mir unerklärlich, wie man binnen eines Jahres das Unternehmen so herunterwirtschaften konnte.“ Das Unternehmen ist zu keiner Stellungnahme bereit. Schon machen Verdächtigungen die Runde gegenüber der Bremer Mutter, die den Werkzeugmaschinenhersteller Dörries Scharmann 1992 in ihren geplanten Technologiekonzern integriert hatte.

Keinen Groll empfinden die Beschäftigten gegenüber ihren Kollegen im Osten. Sie wollen sich wegen der umgeleiteten 170 Millionen Mark Subventionen aber auch nicht zu Sündenböcken stempeln lassen. „Wir haben hart gearbeitet, wir haben uns nichts vorzuwerfen.“ Was aus den Geldern wird, ist unklar. Der Vulkan hat gegenüber den Mönchengladbachern auf eine Rückzahlung jedenfalls verzichtet.

Jetzt bildet die Belegschaft eine Mahnwache, gleich gegenüber dem Verwaltungsgebäude. Eine Demonstration beginnt, die Leute haben sich bei Kaffee und Brötchen auf viele Tage und Nächte eingestellt. Udo Bünnagel