Fast die Schuhe weggeflogen

Beim 2:0 gegen Fortuna Düsseldorf erlebt der KSC seltene fußballerische Glücksgefühle und darf zum Pokalfinale nach Berlin  ■ Aus Karlsruhe Frank Ketterer

Wahrscheinlich wäre Thomas Häßler bis ans Ende der Welt gerannt, um diese verdammte Plastikkugel endlich dorthin zu kicken, wo sie hingehört. Im Halbfinale um den DFB-Pokal zwischen dem Karlsruher SC und der Düsseldorfer Fortuna war Minute 79 angebrochen, als der fußballernde Dribbelzwerg Ball und Beine unter die Arme nahm und allen davonrannte. Nicht bis ans Ende der Welt, aber doch immerhin so weit, daß er schließlich nur noch Fortuna-Torsteher Georg Koch vor sich hatte, an dem er den Ball geschickt zum entscheidenden 2:0 für die Badener vorbeispitzelte.

Es war der Moment, in dem im Wildparkstadion alle Dämme brachen. Mit einem Schlag war sie wieder da, diese badische Fußballglückseligkeit, die schon vor einiger Zeit verschüttgegangen schien. Der KSC stand im Cup-Finale, nur das zählte in diesem Augenblick und in all den anderen, die an jenem Abend noch folgen sollten. Daß die Düsseldorfer drei Minuten später einen Handelfmeter zugesprochen bekamen, den Glavas zunächst an die Latte und erst dann ins Tor beförderte, was laut Reglement als sittenwidrig gilt, war nur noch schmückendes Beiwerk. Spannend und dramatisch zwar, aber unerheblich.

So unerheblich wie die Zweifel, die lange Zeit die Pokalstimmung im nicht ausverkauften Stadion zu drücken schienen. Kirjakow hatte Karlsruhe zwar nach einer Viertelstunde mit 1:0 in Führung gebracht, doch spielten die Rheinländer, wiederum mit Mill und Pancev, derart vehement nach vorne, daß dieses eine Tor keineswegs als Buchung für die Berlinreise feststand. „Ich kann meiner Mannschaft keinen Vorwurf machen“, sagte Fortunen-Trainer Aleksandar Ristic folgerichtig.

Unterdessen jagten sich rund um die Karlsruher Kabine die Superlative, hatte das Wörtchen „Traum“ Hochkonjunktur. „Das ist unglaublich“, stammelte Sean Dundee, der gleich in seinem ersten Bundesligajahr nach Berlin fahren darf, und Kapitän „Icke“ Häßler bekannte, daß ihm „vor lauter Freude fast die Schuhe weggeflogen“ wären.

Allein KSC-Trainer Winfried Schäfer wollte den Abend nicht ausschließlich der Freudetrunkenheit widmen. Zu oft hatte der Fußballehrer in den vergangenen Wochen und Monaten deftige Kritik einstecken müssen, zu tief sitzt der Schmerz, daß mancher den KSC, von Schäfer nach den unvergessenen UEFA-Cup-Auftritten höchstselbst und vollmundig ins rosig schimmernde Jahr 2000 geschickt, bereits wieder zurück ins „Lindenstraßen-Milieu“ (SZ) rutschen ließ. An diesem Abend war Schäfer wieder König: „Genugtuung für die Vergangenheit“ sei das Erreichen des Pokal-Finales, ließ er wissen, all die Geschichten vom Sturz zurück ins Bundesliga-Mittelmaß wären „Kokolores“, über den sich der Trainer schon immer nur „totlachen“ konnte.

Das Lied vom „Underdog“, der immer wieder die besten Spieler verkaufen muß, um das Überleben des Vereins sichern zu können, wird in Karlsruhe aber nach wie vor gerne angestimmt. Daß vor zwei Jahren 14 Millionen Mark in namhaftes Personal gebuttert wurden, um aus dem KSC eine Mannschaft internationalen Zuschnitts zu formen, gerät da schon mal in Vergessenheit. Vor wenigen Wochen gab Jens Nowotny, letztes KSC-Eigengewächs und Libero der U 21-Nationalmannschaft, seinen Abschied aus dem Badischen bekannt. Nach Leverkusen zieht es ihn, aus sportlichen Gründen, wie er sagt. Und in diesen Tagen will KSC-Präsident Roland Schmider ein Gespräch mit Thomas Häßler führen, ob der denn nun tatsächlich in Karlsruhe bleibt. International spielen will „Icke“, das hat er zuletzt fortwährend deutlich gemacht. Ein Ziel, das im Berliner Olympiastadion, wo der KSC im Pokalfinale am Pfingstsamstag auf den 1. FC Kaiserslautern trifft, durchaus erreichbar ist. Erst dann aber besteht wieder wirklich Grund zu neuer blau-weißer Fußballeuphorie.

Fortuna Düsseldorf: Koch - Bach - Werner, Katemann - Winkhold, Glavas, Buncol (67. Minkwitz), Seeliger, Mehlhorn - Mill (67. Shala), Pancev (67. Schwinkendorf)

Zuschauer: 28.000; Tore: 1:0 Kirjakow (16.), 2:0 Häßler (79.)

Karlsruher SC: Reitmaier - Nowotny - Reich, Schuster - Metz, Häßler, Fink, Bender (89. Knupp), Tarnat - Kirjakow (72. Carl), Dundee