Auf Kommando: Marktwirtschaft!

Die UNO-Sanktionen sind aufgehoben. Seit Dienstag ist Bosnien-Herzegowina damit wieder ein Wirtschaftsraum. Dem Privatsektor fällt jetzt die Schlüsselrolle zu. Aber wo ist er?  ■ Von Dietmar Bartz

„Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, daß es in Bosnien-Herzegowina zu einem Anstieg der Kriminalität gekommen ist“, verkündete vor kurzem bei einem kleinen, hochkarätig besetzten Strategiegespräch ein internationaler Bosnienvermittler. Verwirrt schwiegen die anderen Teilnehmer der Runde, unter ihnen der philanthropische Spekulant und Multimillionär George Soros, die Flüchtlingshochkommissarin Sadako Ogata und der bosnische Exaußenminister und UNO-Botschafter Mohammed Saćirbey.

Schmunzelnd bequemte sich der Redner zu einer Erklärung: Die Ifor-Friedenstruppe habe festgestellt, daß es wieder einen grenzüberschreitenden Schleichhandel zwischen den beiden verfeindeten Landesteilen gebe – und der sei wünschenswert, aber dummerweise illegal, solange die Sanktionen gegen die Serbische Republik auf bosnisch-herzegowinischem Boden noch bestünden.

Den Wiederaufbau von Bosnien-Herzegowina zu organisieren, erfordert nicht nur ein dickes Fell, sondern auch die Bereitschaft, alle fünfe gerade sein zu lassen. Seit Dienstag nacht ist wenigstens der grenzüberschreitende Handel legalisiert. Der UN-Sicherheitsrat verkündete offiziell, daß die Ifor die Kooperationswilligkeit der bosnischen Serben bestätige und damit alle Wirtschaftssanktionen gegen die Republika Srpska aufgehoben sind. Damit ist das Wirtschaftsgebiet Bosnien-Herzegowina wiederhergestellt. Gleichzeitig macht sich auch Zynismus breit: Der größte Vorteil beim Aufbau der bosnischen Wirtschaft sei, daß sie so zerstört ist, meint ein Weltbankexperte hinter vorgehaltener Hand.

Zynismus der hilflosen Wirtschaftshelfer

Damit spricht er aus, was in den internationalen Organisationen manche denken: Alle Welt zerbricht sich den Kopf darüber, wie die für dieses Jahr geplanten zwei Milliarden Dollar Hilfsgelder möglichst geschickt koordiniert und innerhalb des Landes kanalisiert werden können. Aber die zweite große Frage wird dabei schnell übersehen: Kommt die Privatisierung der bosnisch-herzegowinischen Wirtschaft, Voraussetzung für den Aufschwung, schnell genug in Gang?

Wie wichtig die Mobilisierung privaten Kapitals ist, zeigen die offiziellen Zahlenangaben. Der bosnische Premierminister Hasan Muratović beziffert die Gesamtschäden des Krieges in seinem Land auf 45 Milliarden Dollar; das Bruttosozialprodukt ist auf ein Viertel des Vorkriegsstandes abgesunken. Doch das internationale Hilfspaket von Dayton, das endgültig auf der nächsten Geberkonferenz am 12. April geschnürt wird, beläuft sich auf nur 5,1 Milliarden Dollar, offiziell auf vier Jahre verteilt.

Und dieser Zeitraum gilt nur für das Einkassieren der Mittel. Die Auszahlung wird Weltbankexperten zufolge fünf bis sieben Jahre dauern. Eigenleistungen der Regierung in Sarajevo sind in diesem Zeitraum praktisch nicht zu erwarten – also hängt der Aufbau des Landes entscheidend vom privaten Sektor ab. Im besten Fall können bis zum Jahr 2000 zwei Drittel des Vorkriegsniveaus erreicht werden. Besser macht sich dieses Ziel, wenn es als Zuwachsrate ausgedrückt wird: Drei Jahre lang je 30 Prozent Wirtschaftswachstum sind durchaus machbar.

Faktisch liegt die bosnische Wirtschaft in Ruinen. Juristisch ist das nicht anders: Auf dem Papier dominieren immer noch die jugoslawischen sozialistischen Eigentumsformen. „Wiederaufbau“ ist in Bosnien nur für Wohnhäuser und für einen Großteil der Infrastruktur erstrebenswert, aber nicht für die Produktion.

Dahinter steckt auch ein verborgener Systemkonflikt. Ist die Regierung in Sarajevo bereit, den derzeit beherrschenden Einfluß des Staates auf die Wirtschaft so schnell zurückzuschrauben, wie sie es immer behauptet? Und macht die augenblickliche wirtschaftliche Führungsschicht – Kommandostrukturen aus der Vorkriegs- wie der Kriegszeit gewöhnt – die notwendigen fundamentalen Strukturveränderungen mit? Die Fabrikdirektoren sitzen in der ökonomischen Schlüsselstellung. Von der industriellen Kapazität des Jahres 1990 sind 1996 nur zehn Prozent intakt geblieben. Hier wurde aus einleuchtenden Gründen über Jahre Kriegsmaterial produziert, und gerade diese unzerstörten Militärbetriebe werden mit hoher Wahrscheinlichkeit die Wachstumsinseln der nächsten Jahre darstellen müssen.

Erfahrungen mit einem Doppelprozeß aus Systemtransformation und Nachkriegs-Wiederaufbau fehlen vollständig. Die alten Kontakte ins westliche Ausland, eine größere Zahl von Joint-ventures und das zugehörige Geflecht von Zulieferbetrieben sollen zur industriellen Grundlage der neuen Volkswirtschaft werden – wünscht sich die Regierung. Aber die altsozialistische Exportförderung durch künstlich niedrige Preise für Vorprodukte, Energie und Transport funktioniert nicht mehr – eine Chance haben die Fabriken nur, wenn sie nach westlichen Prinzipien funktionieren.

Wünschenswert wäre, sofort mit der Privatisierung zu beginnen, damit Umbau und Produktion so effizient und rentabel wie möglich werden. Die Zeit drängt, und das Geld kommt: Soeben hat die Weltbank den bosnischen Banken eine Kreditlinie zur Verfügung gestellt, damit sie überhaupt Geld verleihen können. Ironischerweise geht es jetzt auch darum, dieses Geld vor dem Staat zu schützen – die „industriellen Kerne“ in Staatsbesitz werden das Kapital sofort nachfragen wollen. Aber welchen Wert, sei es für die Bank oder einen ausländischen Käufer, hat eine halb ausgebrannte Fabrik in Tuzla, in der Maschinen zur Granatenproduktion stehen?

Und auch die Geldhäuser sind von abenteuerlicher Reformbedürftigkeit: zu 80 Prozent staatlich, zu 90 Prozent zerstört, und mit 97 Prozent fauler Kredite auf der Haben-Seite ausgestattet. Wovon sollen da die Guthaben in den Vorkriegs-Sparbüchern ausgezahlt werden? Schwer in Mode sind deshalb Spekulationen darüber, was alles schiefgehen wird, wenn an hundert Stellen zugleich die Rekonstruktion von Brücken, Pumpstationen, Gebäudekomplexen, Heizwerken und Stromleitungen beginnt. Bosnien macht meinungsfreudig – für jede erdenkliche Frage steht hier ein bestes und ein schlechtestes Szenario zur Verfügung.

Vor allem: Wird das Land wieder zu einem dauerhaften Produktionsstandort? Premier Muratović behauptet: „Es gibt wohl keinen Platz auf der Welt, an dem es so viele Möglichkeiten gibt.“ Eine Fachfrau der Weltbank stimmt zu: Bosnien habe vor dem Krieg mehr als die Hälfte seiner Exporte in Hartwährungsländer abgesetzt. Schließlich habe bereits das Tito- Regime mit Marktelementen experimentiert. Und es gebe eine Schicht erfahrener Unternehmer, auf die internationale Investoren vor Ort zurückgreifen könnten.

Die andere Seite: Überwiegend mögen diese Unternehmer tatsächlich noch oder wieder in Bosnien leben, aber ihr Kapital sitzt weiterhin in Zagreb und vor allem in Istanbul. Zweifelhaft ist auch, ob Bosnien überhaupt noch einmal die alte Exportintensität erreichen kann. In Mittel- und Südosteuropa stehen nach der Wende Tausende von Fabriken bereit, in denen Westler ihre Middle-Tech-Produkte herstellen lassen können. Um sich wieder eine ökonomische Basis zu verschaffen, ist Bosnien wie jedes andere kleine Industrieland auf Exporte angewiesen. Denn vier Millionen Einwohner bietet für die Herstellung von Industrieprodukten einen viel zu kleinen inländischen Markt.

Selbst mit niedrigsten Lohnkosten ist da nicht viel zu machen – denn dann verhungert die Bevölkerung. Wenn nämlich jährlich eine oder zwei Milliarden Mark in das Land fließen und der Wettbewerb um die knappen Kapazitäten und Ressourcen beginnt, kann das Preisniveau durchaus wieder in die Nähe seiner atemberaubenden Höhe aus Kriegszeiten kommen. Und kein Wechselkurs und keine Inflationswelle dämpft diese Exportnachteile: Die D-Mark wird noch auf Jahre die quasi-amtliche Binnenwährung sein.

So bleibt allerdings wenigstens der Geldwert stabil – und Vertrauen zu schaffen, gehört zu den allerwichtigsten Aufgaben der Regierung. Der Internationale Währungsfonds wird den Zentralbankchef ernennen und vermutlich die nächsten sechs Jahre das monetäre Regime ausüben; die neue bosnische Währung wird später wohl an die D-Mark gebunden sein.

Der Aufbau des Landes hätte nach ganz neuen Ideen verlangt – aber die sind den in- und ausländischen Projektentwicklern nicht gekommen. Es fehlen Vorschläge vom Kaliber „Beirut“ – in der libanesischen Hauptstadt ist die bürgerkriegsverwüstete Innenstadt zur Aktiengesellschaft gemacht worden, die ihren Aufbau selbst finanziert. Auch wenn das Modell nicht auf Sarajevo oder gar Mostar zu übertragen ist – Novitäten sind in den drei dicken Wälzern, in denen die bosnischen Aufbauprojekte beschrieben sind, nicht zu finden.

Weltbank kreativ bei der Geldbeschaffung

Die einzige Organisation, die etwas Pfiff an den Tag gelegt hat, ist die Weltbank, die sonst so oft für ihre Unbeweglichkeit gescholten wird. Um Geld aufzutreiben, hat sie sich hart an den Rand ihrer Statuten geschlängelt. Weil Bosnien noch nicht Mitglied der Organisation ist, hat es auch keinen Anspruch auf reguläre Weltbankkredite. Deswegen hat die Weltbank Ende Januar kurzerhand eigenes Kapital in einen Fonds gesteckt, aus dem nun die Projekte finanziert werden – ein Verfahren, das erst einmal, kürzlich zugunsten Palästinas, angewandt wurde.

Von den Mitteln des Aufbaus fließen rund 30 Prozent in die Serbische Republik, wobei ein größerer Teil für Infrastrukturprojekte verwendet wird, die auch dem bosniakischen oder kroatischen Teil zugute kommen. So wird etwa die Stromtrasse, die das Kraftwerk in Višegrad mit Goražde verbindet, überwiegend über serbisches Territorium geführt.

Von dort werden nur „ganz geringe ökonomische Aktivitäten“ gemeldet. Der serbische Landesteil ist zwar mit 20 Prozent nur wenig zerstört (Föderation: 60 Prozent), wird aber noch weitaus mehr Mühe haben, internationale Investoren anzuziehen. Noch mehr Schwierigkeiten stehen aber den restjugoslawischen Gewerbeansiedlern bevor. Der Standort Serbien hat nicht nur weltweit ein verheerend schlechtes Image, sondern auch noch immer eine sozialistische Industriestruktur mit zugehörigem Verwaltungsapparat.

Als die bosnische Föderalregierung im Februar beim Weltwirtschaftsforum in Davos zu einer Investorenkonferenz lud, kamen rund 30 neugierige Topmanager. Bei der gleichen Veranstaltung mit der serbischen Regierung saßen den 2 interessierten Unternehmern 18 Bürokraten gegenüber.