Wer nicht arbeiten will, der soll darben

■ Bundestag verabschiedete Sozialhilfereform. SPD will Gesetz im Bundesrat blockieren. Anbindung an die Netto-Löhne und Lohnabstandsgebot sind umstritten

Berlin/Bonn (taz) – Gegen die Stimmen der Opposition hat der Bundestag gestern die von der Bundesregierung vorgelegte Reform der Sozialhilfe verabschiedet. Mit der Reform soll laut Gesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) die Arbeitsaufnahme erwerbsloser SozialhilfeempfängerInnen gefördert werden. Vor allem aber will Seehofer mit der Reform die Länder und Kommunen künftig um 2,2 Milliarden Mark jährlich entlasten.

Die wesentlichen Neuregelungen der Sozialhilfe:

– Bei Ablehnung einer „zumutbaren“ Arbeit soll erwerbsfähigen Sozialhilfeempfängern künftig der Regelsatz um 25 Prozent gekürzt werden.

– Der Anstieg der Regelsätze wird in den nächsten drei Jahren auf den Anstieg der Nettolöhne begrenzt. Von 1999 an sollen die Regelsätze unter anderem auch gemäß der Entwicklung der Netto-Einkommen fortgeschrieben werden.

– Die Sozialhilfe muß von 1999 an um 15 Prozent unter den Netto- Arbeitsentgelten der unteren Lohn- und Gehaltsgruppen liegen. Als Maßstab für die Vergleichsbetrachtung soll ein Fünf-Personen- Haushalt dienen.

– Die Aufnahme einer Arbeit durch SozialhilfeempfängerInnen soll dadurch gefördert werden, daß den erwerbstätigen Armen künftig sechs Monate lang gestaffelte Zuschüsse gewährt werden.

Diese Reformen werden den Ländern und Kommunen laut Seehofer jährlich eine Milliarde Mark an Einsparungen bringen.

Weitere 1,2 Milliarden Mark jährlich soll die Deckelung der Pflegesätze in Heimen sparen. Nach dem Entwurf dürfen die Pflegesätze dort in den kommenden drei Jahren nicht stärker steigen als die allgemeinen Löhne. Ab 1999 erfolgt die Vergütung durch Pauschalen.

Der Minister sprach gestern von einer „behutsamen Reform“. In der Bundestagsdebatte hatte die SPD-Abgeordnete Brigitte Lange der Bundesregierung vorgeworfen, sie höhle das Sozialhilferecht aus. Das Kriterium für Hilfe sei nicht mehr, was der Mensch brauche, sondern was nach Verteilung des Reichtums übrig bleibe.

Auch Andrea Fischer (Bündnis90/ Die Grünen) warf der Regierung eine Abkehr vom Prinzip der Bedarfsdeckung vor. Von den Wohlfahrtsverbänden wird die Deckelung der Heim-Pflegesätze bemängelt. Sozialhilfeinitiativen rügen das Lohnabstandsgebot als Freibrief für Absenkungen bei der Hilfe zum Lebensunterhalt.

Der SPD-dominierte Bundesrat muß der Sozialhilfereform noch zustimmen. Die SPD-Länder werden den Entwurf ablehnen und in den Vermittlungsausschuß verweisen. Wie aus SPD-Kreisen verlautete, wird aber eine Deckelung der Heimpflegesätze als notwendig erachtet. BD