50.000 Serben auf der Flucht

■ Vor Einigung mit Serben: Nato setzt Luftangriffe aus. Kroaten und Muslime setzen ihren Vormarsch fort

Zagreb/Sarajevo (dpa/rtr/AFP/taz) – Die Offensive der bosnischen Regierungsarmee und der kroatischen Verbände in West- und Mittelbosnien hat eine Massenflucht der bosnischen Serben ausgelöst. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) sind bis zu 50.000 Zivilisten auf der Flucht nach Norden, vor allem in die serbisch kontrollierte Stadt Banja Luka.

Das UNHCR teilte mit, nach Berichten von Helfern vor Ort werde die gesamte Bevölkerung mehrerer Städte evakuiert, darunter die Städte Jajce und Donji Vakuf. Zahlreiche Straßen seien mit flüchtenden Menschen verstopft. Auch aus den Städten Drvar und Kljuć flüchteten Zivilisten in Richtung Banja Luka. In Banja Luka selbst halten sich nach UN-Angaben außerdem noch 50.000 serbische Flüchtlinge aus der Krajina auf.

Nato-Generalsekretär Willy Claes ordnete gestern abend eine zwölfstündige Unterbrechung der Luftangriffe auf die bosnischen Serben an. US-Präsident Bill Clinton sagte in Washington, er habe Grund zur Hoffnung, daß sich die Serben an die Bedingungen von UN und Nato zur Beendigung der Bombardements hielten und die Belagerung beendeten. Nach Agenturberichten sollen sich die Serben im Gegenzug zum Stopp der Luftangriffe einverstanden erklärt haben, ihre schweren Waffen aus Sarajevo abzuziehen. Der serbische Präsident Slobodon Milošević habe sich gegenüber dem amerikanischen Vermittler Richard Holbrooke nach elfstündigen Gesprächen verpflichtet, daß alle schweren Waffen der bosnischen Serben aus der 20-Kilometer-Zone um Sarajevo abgezogen werden. Noch gestern abend sprach Holbrooke mit dem bosnischen Ministerpräsidenten Izetbegović. Die internationale Bosnien-Kontaktgruppe will bei ihrem heutigen Treffen in Genf das Abkommen vorstellen.

Die bosnischen und kroatischen Truppen, die von der regulären kroatischen Armee unterstützt werden, haben in den vergangenen Tagen große Geländegewinne erzielt. Die kroatische Nachrichtenagentur Hina berichtete, ein Gebiet von 1.500 Quadratkilometern sei erobert worden. Tausende bosnisch-serbische Soldaten seien gefangengenommen worden. Mit der Eroberung der Stadt Jajce ist nach Angaben von Militärbeobachtern der Weg in die Serben-Hochburg Banja Luka frei.

Die Bosnien-Kontaktgruppe der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) beschloß bei einem Treffen in Kuala Lumpur, bosnische Regierungstruppen mit Waffen zu beliefern, damit diese die Belagerung Sarajevos durchbrechen könnten.

Der UN-Sondergesandte für Ex-Jugoslawien, Yasushi Akashi, unterstrich die Verärgerung der UNO über den militärischen Vormarsch von Muslimen und Kroaten. Der UNO-Sicherheitsrat hatte in der Nacht zum Donnerstag alle Seiten zur Zurückhaltung aufgefordert, allerdings ohne Kroaten und Muslime ausdrücklich zu erwähnen. Verteidigt wurden die Nato- Luftangriffe dagegen von US-Generalstabschef John Shalishkashvili. Die Nato habe keine Partei ergriffen, sondern setze die Respektierung der UN-Schutzzonen durch.

Deutschland und Frankreich haben eine gemeinsame Initiative für die „Gestaltung des Friedens“ nach einem Ende der Kämpfe im ehemaligen Jugoslawien angekündigt. Wie die Außenminister Klaus Kinkel und Hervé de Charette gestern in Bonn mitteilten, soll eine deutsch- französische Arbeitsgruppe entsprechende Vorschläge ausarbeiten. Kinkel nannte unter anderem das Flüchtlingsproblem, Grenzgarantien, den Wiederaufbau und eine Rüstungskontrolle. Beide äußerten „große Sorge“ über den Vormarsch der Muslime und Kroaten. Von den Serben verlangten sie erneut ein Ende der Belagerung Sarajevos. gb Seite 8