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Wie frisch vom Schrottplatz

■ Frech und laut: Die Bremer Aufbruchskunst der 60er Jahre wird in der Städtischen Galerie gefeiert

Vier Jahre nur liegen zwischen „Love Me Do“ und „Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band“, zwischen dem ersten Plattenerfolg der Beatles und jenem Album, das den Abschied der Legende von der Bühne bedeutete. 1963 - 1967, eine wilde Zeit, denken sich die Nachgeborenen. Für diese Zielgruppe leiern die Beatles bekanntlich gerade ihr Comeback an, wenn's auch etwas müde daherhumpelt. Überhaupt sind ja die Sechziger schwer in Mode: Allenthalben latschen Teens in blümeranten Schlaghosen umher, die ihnen H&M als „Sixties“-Klamotten unterjubelt, und nun kommen auch die Bremer Künstler auf den Trichter und besinnen sich auf jene bewegten Jahre. „Aufbruch einer Szene – 1963 - 1967“ nennt sich eine Rückschau, die drei Bremer Kunststudenten von damals für die Städtische Galerie zusammengestellt haben.

Der Verweis auf die gleichzeitige Beatles-Karriere durfte bei der Präsentation der Ausstellung nicht fehlen. Und wirklich: Nicht nur ähnelt Co-Kurator Peter Jörg Splettstößer mit seiner (inzwischen silbrig ergrauten) Lockenmatte auf ganz zauberhafte Weise dem gleichaltrigen George Harrison, sondern die ganze Kunstschau läßt etwas vom jugendlichen Aufbruchswillen der Künste spüren – eine Kraft, gegen die die aktuelle Kunstszene lethargisch und einfallslos erscheint.

Daß die Bilder nach 30 Jahren noch so frech und frisch wirken, verdanken sie u.a. dem hemmungslos subjektiven Konzept der Ausstellung. Keine Überblicksschau war angepeilt, die mit großer Geste alles, aber auch alles repräsentativ auszubreiten vermöchte, was es in Bremen so gab. Splettstößer und seine Malerkollegen Horst Müller und Wolfgang Michael suchten die Kunst vielmehr in der radikalen Beschränkung: Zu sehen sind nur Werke der damaligen Malklasse der Bremer Kunstschule, zehn Künstler und eine Künstlerin umfassend. In dieser Gruppe, so behaupten die Macher keck, spiegelt sich symptomatisch die Suche nach neuen Zeitzeichen, nach einer neuen Kunst wider.

Tatsächlich fliegen dem Ausstellungsbesucher sogleich feuerwehrrote Bilder und Objekte um die Ohren, wölben sich die Leinwände dem Betrachter entgegen, drängen geradezu furchterregend in den Raum. Alles leuchtet in den schönsten Industriefarben und -formen. Dies ist allerdings noch nicht das plakative Geschrei der Pop-Art. In den entschiedenen, kraftvollen Gesten der Bremer wird eher die Ablösung von der Innerlichkeit der informellen Kunst der 50er Jahre demonstriert. Eine Klasse, die von ihrem ersten Dozenten Karl Fred Dahmen über die Schrottplätze der Stadt gejagt wurde, um dort Eindrücke und Material zu sammeln, mußte zwangsläufig neue Sichtweisen entwickeln.

Das hieß vor allem: die Zeichen der Zeit erkennen und von ihnen lernen. Die Leuchtkraft der Verkehrssignale hat mehrere Dozenten der Malklasse inspiriert, und mit ihnen die Studenten. Die Sprache der Warnschilder und Flaggen übersetzte Malprofessor Winfried Gaul in objektförmige Leinwände. Die Bremer Speckfahne, in konkrete Malerei gegossen. Sein Nachfolger Karl Heinrich Greune pries in seiner Antrittsvorlesung im April 1966 die Schönheit des Signals, „Form und Gegenstand zugleich“. Um diese Ideen nachzuvollziehen, brauchten die Kunstschüler nicht mal bis zum nächsten Schrottplatz zu gehen: Im benachbarten Bremer Theater baute Bühnenbildner Wilfried Minks gerade eine Comic-Kulisse für Peter Zadeks „Räuber“-Inszenierung; ganz ala Lichtenstein ließ er eine grobgerasterte, aufgeblasene Riesenfigur mit einer Riesenknarre ins Publikum ballern, samt lautmalerischer „CRAK!“-Sprechblase. Das Logo des Theaters zu jener Zeit: ein verfremdetes Verkehrssignal – schwarzer Pfeil auf gelbem Grund, das Zeichen für „Blockumfahrung“.

So wurden die Studenten von allen Seiten in Bewegung versetzt. Eine bloße Nachahmung der neuen Zeichen und Wunder aber reizte sie wenig. Was sie versuchten – und was ihnen großteils gelang – war, der Kunst eine Präsenz zu verleihen, die es mit den übrigen Signalen aufnehmen konnte. Karin Wilkens baute knallbunte Bildobjekte aus Stahlblech, Holz und PVC; aufreizende Spitztütenformen ragen aus dem Bildraum in den realen – die neckischen Dinger wären selbst in einem gutgefüllten Warenhaus nicht zu übersehen.

So frisch ausgepackt wie Wilkens' Objektbilder wirken viele der alten Arbeiten. Und sie sind es auch: Was Splettstößer & Co. aus den Ateliers, aus Magazinen und Garagen ans Licht gezerrt haben, ist zur Hälfte noch nie ausgestellt worden, auch in den Sechzigern nicht – es gab ganze zwei Galerien in Bremen.

Aber nicht alles, was aus den jungen Kunstschaffenden herausbrach, führte geradenwegs zu neuen Ufern. Wilkens' bunte Objektbilder könnten zwar problemlos neben den bildwütigen Plastiken der zeitgenössischen Konzeptkunst bestehen. Aber mancher Ausbruchsversuch führte auch in die Sackgasse. An den Bremer Wandbildern der 70er und 80er Jahre läßt sich heute noch ablesen, wie das Bemühen um eine stärkere Präsenz der Kunst bisweilen in einer billigen Illusionsma-lerei endete. Und zu beatlesmäßigem Ruhm hat es keiner der Alt-63er gebracht.

Gleichviel:Der Schwung der kurzen Bremer Aufbruchszeit wird hier noch einmal spürbar. Vergleichbares gab es danach nicht wieder. Im Theater prangten bei der letzten „Räuber“-Inszenierung, unter der Fuchtel Hansgünther Heymes, feierlich erstarrte Bühnenbilder. Die Kunstszene dämmert derweil in freundlichem Mittelmaß vor sich hin. Vielleicht, so hofft Kurator Splettstößer, wird die Schau ja weniger als Sixties-Revival verstanden, sondern als „Frage an den Zustand der heutigen Kunst“; vielleicht kann sie nochmals Signale setzen und „den Humus bilden für die Kunst einer anderen Generation“.

Thomas Wolff

„Aufbruch einer Szene. Bremen 1993-1967“, bis 14. April, Städtische Galerie, Buntentorsteinweg 112; Eröffnung am heutigen Samstag um 19 Uhr

Der sehr informative Katalog – ermöglicht durch eine Spende der Fa. Osmers – mit Gastbeiträgen, Quellentexten und Reproduktionen aller Bilder ist im Donat-Verlag erschienen

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