Lafayettes fahle Lichtgestalt

Ein neuer Glaspalast provoziert das streng-steinerne Berlin: Jean Nouvels Galeries Lafayette. Teil VI der Serie „Orte im Wandel“  ■ Von Hans Wolfgang Hoffmann

„Ohne einen Glaspalast ist das Leben eine Last“, reimte Paul Scheerbart auf Bruno Tauts Glashaus anläßlich der Kölner Werkbund-Ausstellung 1914. Endlich glaubte man sich frei vom Ballast der Architekturgeschichte. Statt erstarrte Formen zu wiederholen, schnitt man leuchtende Kristalle aus der Atmosphäre. Statt an sozialen Mißständen zu laborieren, erschuf man künstliche Paradiese. Statt die Last des Steins aufzuheben, näherte man sich mit einem Nichts an Konstruktion der Schwerelosigkeit. Aus Glas und Licht baute man sich einen Zauberspiegel der Phantasie. Dazu kam die Magie der Elektrizität, die die Architektur zum Glühen brachte. Noch heute genügt ein Besuch im Glashaus des Botanischen Gartens, um nachzuempfinden, warum das letzte Jahrhundert so emphatisch die Baustoffe der neuen Zeit feierte.

80 Jahre nach Tauts Reklamepavillon provoziert ein neuer Glaspalast die streng-steinerne Architektur der Friedrichstadt: die Galeries Lafayettes des französischen Avantgarde-Architekten Jean Nouvel. Erhellender als der immer gleiche Streit um die Konvention einer „berlinischen Architektur“ sind Reflexionen der Frage: Was ist aus dem Traum von Licht und Glas geworden? Welche Vision entwirft Nouvel daraus am Ende des 20. Jahrhunderts? Bei Tageslicht unterscheidet sich das Gebäude nur wenig von seinen Nachbarn. Eine dichte Masse wächst aus dem Grundstück, zwängt sich in die Gestalt des traditionellen Berliner Blocks und kommt bei einer Höhe von 30 Metern zum Stehen. Sicher, die Fassade ist aus Glas, doch das Versprechen der Transparenz löst der Baukörper nicht ein. Der Blick verfängt sich kurz an Deckenplatten, Rasterleuchten und Treppenhauskasernen. Hinter der Glasscheibe Büroangestellte, die am Bildschirm ein ganz anderes Fenster zur Welt öffnen.

Deutlicher als die steinernen Rasterfassaden der Nachbarn offenbart das Glas, daß es hier darum geht, Nutzfläche zu stapeln. Flächendeckend wurde das Grundstück bebaut. Um die Baumasse zu durchdringen, ohne die Nutzfläche zu sehr zu reduzieren, ließ Jean Nouvel die Ebenen von Lichtkegeln durchstoßen. Eine Maßnahme, die ein reines Glashaus nicht nötig hätte. Trotzdem kommen die Nutzungen nicht zusammen. Denn aus der typischen Berliner Geschäftshaus-Schichtung – der Sahnetorte aus Geschäften unten, Büros darüber und Wohnungen oben – wurde ein gateau surprise: Büros außen, Kaufhaus innen – durch eine Wand getrennt. Nach Art der Kaufhauskisten der siebziger Jahre ziehen sich die Galeries Lafayette in eine abgeschlossene Innenwelt zurück. Damit ist die Glasfassade nicht mehr das große Schaufenster, keine Bühne der Waren, wie noch bei Wertheim am Ku'damm. Zur Friedrichstraße öffnet sich nur ein niedriger Durchgang, von Nouvel aufgepeppt zu einer überdimensionalen Staubsaugerdüse.

Diffuser Lichtglanz

Im Pariser Stammhaus von Lafayette erwartet den Besucher ein großer Lichthof. Über opulente Freitreppen steigt er nach oben, beugt sich vom fünften Geschoß herab, das Parfum der Marktstände im Erdgeschoß in der Nase. Eine Kuppel aus buntem Glas verwandelt das Tageslicht. Auch in Berlin möchte der große Kegel als Zentralraum alle Etagen verbinden. Doch die Rolltreppen sind in die Tiefe des Gebäudes verbannt. In den Obergeschossen trennt den Besucher eine silberbedampfte Glasscheibe vom geschäftigen Treiben. Allein dem Betrachter im Erdgeschoß bietet der Kegel optische Attraktion. Diesen künstlichen Himmel erhellt kein Tageslicht, dafür ist die Spitze, die das Dach durchstößt, viel zu klein. Statt dessen sollte ein Feuerwerk aus Spiegeln, Projektionen, Lichtlaufbändern, Hologrammen abgebrannt werden. Die Computeranimation versprach Farbenpracht. Doch der Investor wollte solche optischen Dekorationen nicht bezahlen. Übrig blieben ein paar spektral glitzernde Reflexionsfolien. Der Raum ist erfüllt vom diffusen Glanz des unkontrollierten Verkaufslichts. Aus der Lichtskulptur wurde eine fahle Netzhaut. Auch über dem Eingang schwebt bisher statt einer Medienwand nur das gute alte Transparent. Die disziplinierten Streifen von Leuchtreklame sind aus Mangel an Mietern noch weit entfernt von dem „glühenden Buchstabentaumel“, den Siegfried Kracauer hier einst erblickte.

Das Scheitern der technischen Dekorationen wirft ein Schlaglicht darauf, wie dünnhäutig eine Architektur ist, die nur noch ein Schirm für andere Medien sein will. Mit dem „Spiel der Körper im Licht“, als die sie Le Corbusier definierte, hat das Haus an der Friedrichstraße nur oberflächlich zu tun. Es versucht alles Körperhafte abzustreifen: Seine Materialien, neben Glas gebürstetes Edelstahl und Granit, geben sich kalt und unberührbar, sind nur mehr dunkel- neutrale Hintergrundmatrix. Alles Greifbare verschwindet: die Armaturen auf den WCs hinter Edelstahl; Decken verflüchtigen sich mit einem Karrée aus Neonröhren und einer Glasplatte zu einem „gefrorenen Himmel“. Nur das Auge zählt. Doch so sehr sich das Haus innen auch entmaterialisiert, es entsteht kein durchsichtiger Körper. Weil man von außen die Raumfigur der Kegel nicht sehen kann, werden sie durch auf die Glasfassade gedruckte Punkte abgebildet. Die Architektur fällt zurück in die Zweidimensionalität, wird ein flaches Abziehbild.

Dazu will passen, daß sie einem Kaufhaus dient, das weniger reale Ware verkauft als Image und flüchtige Illusionen. Doch ein Kaufhaus als Medienschirm ist widersinnig: Der Kunde, der hier angesprochen wird, braucht nicht zu kommen: Der Reisende durch virtuelle Welten benötigt weder Architektur noch Stadt. Ihm genügt der Stecker am Netz. Er kann zu Hause bleiben und seine Waren in dem riesigen Quelle-Versandlager Leipzig anklicken.

Nur virtuelle Effekte

Über diesen Anachronismus kann auch die Bezeichnung „Passage“ nicht hinwegtäuschen. Hier, wo 1973 die „Lindenpassage“ an der Stelle des heutigen „Grand-Hotels“ entstand, hat sie nichts von der Großzügigkeit ihrer Vorbilder. Sie ist schmal und niedrig wie ein U-Bahn-Zugang, führt nirgendwohin und dient lediglich dazu, die Schnittmenge zwischen Waren und Konsument zu vergrößern. Hier erweist sich die Architektur, die sich nur für virtuelle Effekte interessiert, unfähig, angenehme, reale Räume zu schaffen. Selbst der letzte leibliche Genuß, die Feinschmecker-Etage, wird in den Untergrund abgedrängt. Keiner der Flaneure, denen Walter Benjamin einst zuschaute, wird sich hierher verirren. Macht aber auch nichts, wir können sie ja per Bildschirm einblenden.

Literatur:

– „Jean Nouvel“. El Croquis, 1993, 98 DM

– „Die Schönheit der großen Stadt“. In: „August Endell – Vom Sehen“, Birkhäuser-Verlag, 1995, 39,80 DM

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