Gute Besserung

Die Aktion Sorgenkind bittet um eine Spende, die Deutsche Aidshilfe um den Besuch eines Benefizkonzertes: Nahezu jede Firma erhält regelmäßig Bittbriefe. Zur Zeit kommen die Schreiben jedoch von Geschäftspartnern „mit einer etwas ungewöhnlichen, nicht branchenspezifischen Bitte“. Der kleine Graig Shelby, heißt es, sei unheilbar an Krebs erkrankt. Der siebenjährige Engländer habe nur noch einen Wunsch – er wolle mit der größten Visitenkartensammlung der Welt in das „Guinness- Buch der Rekorde“ eingetragen werden. Daher geht der Aufruf an alle, dem Kind eine Visitenkarte zu schicken und sein Anliegen zehn weiteren Firmen anzudienen. Das ist leicht zu machen, und so verbreitet sich die traurige Sammlergeschichte im ganzen Land – und zwar schnell, denn viel Zeit bleibt vermutlich nicht. Trotzdem wird der Knabe all die liebevoll eingetüteten Visitenkarten nie sehen, denn Graig Shelby aus der Shelby Road existiert nicht.

Einen Craig Shergold dagegen gibt es, und mit ihm hat alles angefangen. Als er, zehnjährig, 1989 an Krebs erkrankte, sammelte er allerdings Postkarten. Sein Wunsch, mit der größten Anzahl von Besserungswünschen auf Postkarten den Weltrekord aufzustellen, erfüllte sich über eine Kettenbriefaktion: 1992 wurde er als Empfänger von 33 Millionen Karten in das „Guinness-Buch der Rekorde“ eingetragen. Und auch die Wünsche wirkten: Im Jahr zuvor war Craig Shergold erfolgreich operiert worden.

Davon weiß die Welt jedoch nichts. Und so kommt es, daß die englische Post noch heute wahre Postberge an Craig Shergold weiterleiten soll. „Diese Geschichte ist einfach nicht totzukriegen“, klagt Derrek Wilson, Pressesprecher der Royal Mail, „in jeder Woche haben wir hier Tausende von Briefen.“ Und wenn die Hausnummer nicht stimme, landeten die gar „säckeweise bei den Nachbarn“. Inzwischen, das zeigt die aktuelle Rundbrief-Aktion, ist der einstige Rekordversuch völlig außer Kontrolle geraten: Der Name des Empfängers stimmt nicht mehr, aus Postkarten wurden Visitenkarten, und die Adresse ist auf keinem Stadtplan eingetragen. Während die aktuelle Postflut deshalb von der Royal Mail entsorgt werden kann, sind jedoch immer noch alte Aufrufe unterwegs. „Wenn Sie so einen erhalten“, fleht Derrek Wilson, „schmeißen Sie ihn weg.“

Die Shergolds haben übrigens längst kapituliert. Auf der Flucht vor der Stillen Post hat die Familie den Wohnort gewechselt – ohne Nachsendeantrag. Carola Rönneburg