Tribunal in Den Haag klagt Serben-General Djukić an

■ Mit der Anklage verlängert sich die Untersuchungshaft um 30 Tage. Was danach geschieht, ist noch völlig offen

Wien (taz) – Der serbische General Djorde Djukić ist gestern vom Internationalen Jugoslawien- Tribunal der Vereinten Nationen in Den Haag wegen Kriegsverbrechen gegen bosnische Zivilisten angeklagt worden. Damit verlängert sich die Untersuchungshaft um weitere 30 Tage. In der Anklagebegründung bezieht sich der Chefankläger des UN-Sondergerichts, der Südafrikaner Richard Goldstone, auf angeblich neue Beweise, die eine Beteiligung Djukićs an der Belagerung und am Beschuß der bosnischen Hauptstadt Sarajevo zwischen 1992 und 1995 belegen würden.

Bereits am 30. Januar war der General zusammen mit seinem Kollegen, Oberst Aleksa Krsmanović, von bosnischen Regierungstruppen in Sarajevo festgenommen und am 12. Februar an das Kriegsverbrechertribunal überstellt worden. Seitdem sitzen die beiden Serben in Den Haag in Untersuchungshaft. Ob es jedoch innerhalb der nächsten 30 Tage zu einem Verfahren gegen Djukić und Krsmanović kommen wird oder ob beide wieder an ein Gericht nach Sarajevo abgeschoben werden oder sogar nach Belgrad als freie Bürger ausreisen können, ist derzeit völlig offen.

Die Haager Richter scheinen sich in ihrer Einschätzung gegenüber den serbischen Militärs und über die Verfolgung von Kriegsverbrechen im allgmeinen nicht einig zu sein – erst recht nicht die UNO im fernen New York. Was bisher jedem UN-Engangement in Bosnien zum Verhängnis wurde, könnte auch für das Kriegsverbrechertribunal zutreffen.

Kritik an der Überstellung des Generals

Deutlich wurde dies unter anderem Mitte Februar, als der frühere Kanzleichef des Tribunals, Theo van Boven, Goldstone persönlich vorwarf, gegen die Statuten des Tribunals zu verstoßen. Der Professor für Internationales Recht, dessen Ernennung einst auf Drängen der französischen Regierung erfolgte, kritisierte, daß für die Überstellung der beiden Serben jede juristische Grundlage gefehlt habe. Die Haager Richter hätten kein Auslieferungsbegehren an das Gericht in Sarajevo gestellt, das die Militärs festgenommen habe. In der bosnischen Hauptstadt, so van Boven, hätte ein Richter belastendes Material gegenüber Djukić und dessen Kollegen überprüfen und dann über eine mögliche Auslieferung entscheiden müssen. Dies sei nicht geschehen, weil die USA schnelle Erfolge sehen wollten.

Wenngleich das Haager Gericht diese Vorwürfe energisch bestreitet, ist es ein offenes Geheimnis, daß US-Militärberater in Sarajevo die Festnahme von Djukić zumindest geduldet haben. In bosnischen Presseberichten mehren sich Hinweise, nach denen Djukić eigentlich als Kronzeuge und nicht als Angeklagter nach Den Haag überführt werden sollte.

Der General gehörte jahrelang zum engsten Beraterkreis des bosnischen Serbenführer Radovan Karadžić, stand aber auch in ständigem Kontakt mit dem serbischen Präsidenten Slobodan Milošević. Als Chef der Logistikabteilung im bosnisch-serbischen Generalstab kennt Djukić die Befehlsstrukturen zwischen der Jugoslawischen Volksarmee in Belgrad und den serbischen Aufständischen in Bosnien. Der General könnte wertvolle Hinweise über Planung, Durchführung und militärische Zusammenarbeit zwischen Milošević und Karadžić liefern. Mit seiner Hilfe ließe sich der serbische Eroberungskrieg in Bosnien relativ chronologisch rekonstruieren.

Anscheinend war Djukić anfangs zu einer Zusammenarbeit mit der bosnischen Regierung und internationalen UNO-Stellen bereit und hatte von US-amerikanischen Stellen die Zusicherung auf freies Geleit erhalten, sollte er als Kronzeuge in Den Haag aussagen. Was Djukić letztlich zum Umdenken bewegte, liegt noch im dunkeln. Von Chefankläger Goldstone gibt es nur den Hinweis, in ersten Gesprächen mit Djukić sei er über dessen „Kooperationsbereitschaft“ erstaunt gewesen. Später ließ Goldstone verlauten, der General habe „jede weitere Zusammenarbeit“ abgebrochen.

Nach einem Bericht des bosnischen Fernsehens vom vergangenen Mittwoch hatte Goldstone große Hoffnungen darauf gesetzt, durch Djukićs Aussagen vor allem Belgrader Politiker der Kriegsvorbereitungen und der Duldung und Anstiftung zu Massenvertreibungen überführen zu können. In den regierungsnahen Zeitungen des Milošević-Regimes gab es mehrmals scharfe Attacken gegen Goldstone, der angeblich im Auftrag der USA und islamischer Staaten die „Schuldfrage am Bosnienkrieg“ allein der serbischen Führung um Milošević zuschreiben wolle. Das Regierungsblatt Politika behauptete sogar, erst wenn Goldstone durch einen neuen Chefankläger abgelöst werde, sei eine „gerechte Aufarbeitung“ der Ereignisse der vergangenen vier Jahre möglich. Karl Gersuny