Notfalls Unterricht unter Bäumen

Weiße Eltern im südafrikanischen Potgietersrus weigern sich noch immer, ihre Kinder gemeinsam mit schwarzen in die Schule zu schicken. Privatschule nun in der Kirche  ■ Aus Johannesburg Kordula Doerfler

Die Klassenzimmer in der Grundschule von Potgietersrus, einem Provinznest im Norden Südafrikas, sind in diesen Tagen nur halb voll. Nur knapp 250 der insgesamt 600 Schüler nehmen am Unterricht teil – darunter auch 22 schwarze Schüler. Der Rest hat entweder die Schule ganz verlassen oder geht seit Anfang dieser Woche andernorts zum Unterricht: in die Kirche. Aufgebrachte weiße Eltern haben beschlossen, daß dies die bessere Lösung für ihre Sprößlinge ist, und in der Hervormde-Kirche Privatunterricht organisiert. Und da sollen sie nach dem Willen ihrer Eltern so lange bleiben, bis der Staat ihnen eine neue Schule baut, eine rein afrikaanse.

Potgietersrus, eine verschlafene Farmerstadt in der Nordprovinz, rund 250 Kilometer nördlich von Johannesburg gelegen, kommt nicht zur Ruhe. Vor zwei Wochen wurde die burische halbstaatliche Schule durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs in Pretoria gezwungen, schwarze Schüler aufzunehmen. Obwohl Rassentrennung an Südafrikas Schulen nach der derzeit geltenden Verfassung nicht mehr zulässig ist, hatte sich die Schule zu Beginn des südafrikanischen Schuljahres Mitte Januar geweigert, drei schwarze Kinder aufzunehmen. Zwar hatte der Direktor der Schule die Kinder angenommen, als die Kinder eingeschult werden sollte, wurde ihnen jedoch von militanten Eltern in den Khaki-Uniformen der rechtsextremen „Afrikaner Widerstandsbewegung“ (AWB) gewaltsam der Zutritt verweigert. Die schwarzen Eltern entschieden sich, gemeinsam mit der Provinzregierung den Rechtsweg einzuschlagen.

In der vergangenen Woche wurden die insgesamt 22 schwarzen Kinder, die bereits an der Schule angemeldet waren, unter Polizeischutz eingeschult. Die Schule blieb ansonsten vorerst so gut wie leer, nur 30 englischsprachige weiße Kinder kamen auch zum Unterricht. Obwohl auch viele burische Eltern es vorgezogen hätten, ihre Kinder in die Schule zu schicken, gehen in Potgietersrus Angst und Einschüchterung um. Besonders aggressiv verhält sich Koos Nel, der Vorsitzende des Elternbeirats. Er hält seit Anfang der Woche Wache vor der Kirche und kämpft eine verbale Schlacht für die bedrohten Rechte der burischen Minderheit in Südafrika. Selbst die Aufforderung der rechten „Freiheitsfront“ unter Exgeneral Constand Viljoen, die Kinder zurück in die Schule zu schicken, lehnten er und der Elternbeirat mit den Worten „Die sollen uns in Ruhe lassen“ ab.

Auch ein Gespräch zwischen Vertretern der Provinzregierung, Viljoen, dem Chef der Konservatieven Partei, Ferdie Hartzenberg, und dem Elternbeirat Ende vergangener Woche brachte keine Bewegung in die verhärteten Fronten. Danach griff Präsident Nelson Mandela erstmals in die Debatte ein und initiierte ein Nationales Forum, das sich mit dem Fall befassen soll. Das besänftigte die militanten weißen Eltern so weit, daß sie vorerst auf eine angedrohte Verfassungsklage verzichteten. Zu weiterem Nachgeben aber sind sie nicht bereit: „Notfalls werden wir den Unterricht unter Bäumen abhalten“, erklärte Koos Nel.

Der Fall Potgietersrus ist für Südafrika zum Präzedenzfall der Rassenintegration geworden, und die Emotionen schlagen hoch. Die weißen Eltern weisen alle Vorwürfe, rassistisch zu sein, zurück. Sie befürchten, daß ihre Kultur und ihre Sprache untergehen werden – und übersehen dabei geflissentlich die Tatsache, daß an der Schule schon lange zweisprachig unterrichtet wurde. Dennoch sprechen sie mit ihrer Haltung Zehntausenden von Buren aus dem Herzen, die im neuen Südafrika – ohne den gewaltsamen Schutz der Apartheid – ähnliche Ängste haben. Das Gericht indessen hielt sich an den Wortlaut der Verfassung, der Rassentrennung verbietet. Auch Viljoen erklärte, am Fall von Potgietersrus hänge die Zukunft des Afrikanertums.

Er und seine Partei kämpfen noch immer für ihren Traum vom eigenen Volksstaat. Die radikale Vorstellung, einen unabhängigen Staat einzurichten, wurde mittlerweile etwas abgeschwächt. In dieser Woche präsentierte der sogenannte Volksstaatrat der Verfassunggebenden Versammlung in Kapstadt seinen Vorschlag für die endgültige Verfassung, die derzeit ausgearbeitet wird. Danach soll es eine zehnte Provinz in Südafrika geben, mit einem Kerngebiet um Pretoria herum und drei weiteren Regionen, die verstreut über das ganze Land liegen, in denen die Buren ihr Selbstbestimmungsrecht ausüben können. Der ANC reagierte „schockiert“. Die Empfehlung des Rates laufe auf eine neue Provinz im Apartheidstil hinaus zu einem Zeitpunkt, zu dem versucht werde, das Land zu vereinen und ihm eine neue Identität zu geben. Viljoen erwiderte, das Problem von Minderheiten lasse sich nicht durch Assimilierung lösen. „Das ist nicht im nationalen Interesse und kann zu Konflikten führen.“ Siehe Potgietersrus.