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Arbeitsplätze statt Autobahn

■ Schleswig-Holsteins Grüne wollen nordeuropäische Auto-Lawine stoppen / Rot-grüner Streit um die Küstenautobahn A 20 Von Florian Marten

„Heute ist ein schöner Tag für Neumünster, Flensburg und ganz Schleswig-Holstein.“ Die Wahl am 24. März vor Augen, beehrte SPD-Landeschefin Heide Simonis gestern die Eröffnung der frisch elektrifizierten Bahnstrecke Neumünster-Flensburg persönlich. Ihre flammende Botschaft: „Jede Mark ist gut angelegt.“ (s. S. 22)

Derweil geben ganz andere Verkehrsprojekte den Ton an. Eine herbeisubventionierte Auto-Lawine, rechnet Karl-Martin Hentschel vor, Vizespitzenkandidat der Kieler Grünen, rollt auf Hamburg zu: Ostseeautobahn A 20, Autobahnumgehung Lübeck, Ausbau A 1, Fehmarn-Belt-Querung, Verlängerung A 23, westliche Elbquerung, dazu weitere 70 Einzelprojekte auf Bundesstraßen – Schleswig-Hol-stein steht mitten in den kostspieligsten Straßenbauaktivitäten seiner Geschichte. Projekte mit einem Gesamtvolumen von 30 bis 40 Milliarden Mark sind in Bau, beschlossen oder in Planung. Hentschel trocken: „Eine Summe, die ausreicht, Schleswig-Holsteins Staatshaushalt völlig zu entschulden.“

Auch wenn jüngste Umfragen die Grünen bereits nahe der Zehn Prozent-Schwelle sehen – Verkehr ist, das zeigt Nordrhein-Westfalen, ein kontroverses Thema. „Gegen Autobahnbau gibt es noch keine stabilen gesellschaftlichen Mehrheiten. Deshalb wollen wir diesen Wahlkampf benutzen, um aufzuklären. Straßenverkehr bringt keine Arbeitsplätze, er gefährdet sie.“

Die schleswig-holsteinische SPD, mit ihrem Nein zum Transrapid und ihrem engagierten Eintreten für eine bessere Bahn auf scheinbar grünem Gleis, läßt seit Engholms Zeiten auf den Straßenbau nichts kommen und hält am Bundesverkehrswegeplan fest. Und sei es nur, um der CDU, die bei jeder Gelegenheit das gesunde Autobahnempfinden über die rechtslastige Landespresse featuret, keine offene Flanke zu bieten.

Der Handelsunternehmer Max Schön sieht allerdings im Straßenbau eine Fortschrittsbremse: „Unser Handelshaus mit seinen Niederlassungen in Lübeck, Wismar, Rostock, Szczecin, Gdynia, Riga und Tallinn sollte eigentlich zu den Profiteuren eines Autobahnbaus entlang der Ostsee gehören.“ Aber: „Auf welchen Verkehrswegen soll Osteuropa Verkehrsaustausch mit Westeuropa betreiben, wenn wir nur Straßen anbieten?“ Schön fordert Innovationen, eine „verkehrspolitische Weichenstellung, für die Schleswig-Holstein eine schwere Verantwortung trägt.“ Er denkt an die „Vernetzung verschiedener Verkehrsträger“, ein Verbundsystem von Küstenschiff, Bahn und Öko-LKW: Dazu gehören zwingend neue Software, neue Berufsbilder, neue Forschungs- und Ausbildungseinrichtungen. Hier ist eine internationale Marktführerschaft noch denkbar.“

Diese Botschaft ins öffentliche Bewußtsein rüberzubringen ist, so räumen Hentschel und Schön ein, ziemlich schwer. Doch, fragt Schön: „Wann, wenn nicht jetzt? Wer, wenn nicht wir? Wo, wenn nicht hier?“ Schließlich sprechen die Fakten für sich: Entlang der Ostsee fehlt sogar der Mindestbedarf für eine Autobahn. Jede ernsthafte Prüfung von Alternativen – und sei es nur der Ausbau der Bundesstraße 105 – würde der A 20 ökonomischen Irrsinn nachweisen.

Die Grünen, die bei ihrem ersten Einzug in den Kieler Landtag gleich auf eine Regierungsbeteiligung hoffen, sind in ihren verkehrspolitischen Zielen sehr bescheiden. Auch wenn intern bereits die Übernahme des Umwelt- und eines neuen Verkehrsministeriums angepeilt werden, soll der Straßenwahn im Fall des Mitregierens zunächst allein durch „Verzögern“, „Umweltverträglichkeitsprüfungen“ und Gutachten zu Alternativen gebremst werden.

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