Aber bitte Zartbitter

■ Das süße Wunder von der Weser: Der Schokoladenhersteller Hachez pflegt sein hanseatisch-herbes Image und pfeift auf pfiffige Fernsehwerbung

uch Heidi und der Großvater lieben die Tradition. „Grüezi“ heißt es in der Kinowerbung, wenn beide auf der Bank vor der Almhütte Platz nehmen; die Sonne lacht, im Hintergrund prangt die immergleiche Alpenkulisse, und Großvater – ausstaffiert wie der Nikolaus persönlich – teilt die Vesper aus: den neuen „Milka-Tender“-Riegel im lila Schokoladenpapier. Doch Achtung, der gleiche Großvater preist nur Minuten später auf der gleichen Alm auch McDonalds' neuestes Hackfleischprodukt. „Slow Food“ heißt der neue Slogan, der das schlechte Image des Fast-Food umkehren soll. Die Fließbandwaren Schokoriegel und Hamburger werden heuer nach dem Vorbild von der „Jack Daniels“-Reklame – „Hier bei uns in Tennessee hat es niemand besonders eilig“ – als traditionelle Handwerksprodukte verkauft. In Bremen hat man das nicht nötig. Hier gehen die Uhren tatsächlich wie anno dazumal. Hier, wo vieles mit dem Image des Negativen behaftet ist, hat es die kleine Schokoladenfirma Hachez geschafft, sich mit hanseatischer Handwerkstradition eine Marktnische zu schaffen.

„Werbung machen wir nie“, sagt Hachez-Geschäftsführer Hasso Nauck. Selbstbewußt lehnt sich der Schokoladenverkäufer in seinem schicken Bürosessel zurück. Jahrelang hat Nauck beim Großproduzenten Milka in der Marketing-Abteilung gearbeitet und kennt die Süßwarenbranche daher von zwei ganz unterschiedlichen Seiten. Schließlich ist für den Insider Schokolade nicht gleich Schokolade. „Die großen Konsumanbieter produzieren Überproduktionen, die sie mit Preisnachlässen wieder losschlagen müssen“, weiß Nauck. „Masse, das heißt auch Massengeschmack, und um da heranzukommen, braucht es die Werbeschlacht.“ Nicht so bei Hachez. Hier segelt Nauck einen ganz anderen Kurs.

Doch ist die Bremer Traditionsmarke nicht einfach nur verstaubt? Schließlich scheint das Outfit der Hachez-Tafeln mit der roten Rose auf weißem Grund nicht gerade zeitgemäß. Auch die Gestaltung der gelben Pralinen-Kartons der Tochtermarke Feodora verströmt eher Asbach-Uralt-Flair. Alles Absicht, behauptet der Geschäftsführer. Man habe die äußere Verpackung schon neu gestaltet. Nur eben nicht modernisiert. Stattdessen haben die Grafiker bei Hachez die konservativen Elemente wieder hervorgekehrt. „Tradition“ ist das Schlüsselwort in der Strategie der Bremer Schokoladenhersteller.

Das liegt unter anderem an der langen Geschichte der „Bremer Chocoladen-Fabrik Hachez“. Im Jahre 1890, es fuhr gerade die erste elektrische Straßenbahn durch die Innenstadt, gründete der belgische Chocolatiér Joseph E. Hachez die Fabrik. Seine Entscheidung machte sich bezahlt: Die Produkte trafen den Geschmack des zahlungskräftigen Bremer Bürgertums und ließen sich sogar exportieren. Im Zweiten Weltkrieg führte zwar der Mangel an Edelkakao zu einer Unterbrechung der Produktion, doch anschließend segelte man wieder im Aufwind. Zuletzt erweiterte sich das Unternehmen durch den Aufkauf der in Angermünde beheimateten Feodora-Schokolade, nach der Schwester der letzen Kaiserin benannt. Die Einfuhrbestimmungen für Kakao waren so rigide geworden, daß die Produktion sich nur zusammen lohnte. Außerdem war das Werk in Brandenburg enteignet worden. Heute beschäftigt der mittelständische Betrieb 350 MitarbeiterInnen, von denen 280 mit der Herstellung der Schokolade beschäftigt sind.

Diese lange Traditionslinie hat Folgen. Bei dem extrem „emotionalen Produkt“ sei die „Käuferloyalität so hoch wie bei Zigaretten“, weiß Nauck über seine Kunden. Die setzen sich kaum aus Teenagern zusammen, die mal schnell auf dem Heimweg von der Schule noch was Süßes einschieben. Wesentlich wahrscheinlicher, daß sich die Großmutter im Sortiment der Edelschokoladen umsieht und etwas Gutes für den Geburtstag des Enkels sucht. „Ein großer Prozentsatz unserer Produkte wird als Geschenk gekauft“, sagt Nauck.

Qualität hat freilich ihren Preis. So muß Hachez seiner teuren Kundschaft das Gefühl vermitteln, ebenso erlesen zu sein wie die Bremer Kakaobohnen. Damit sich die Käufer wähnen dürfen, zu den wenigen Auserwählten zu gehören, denen es nichts ausmacht, zwischen zwei und drei Mark für eine Tafel Vollmilchschokolade zu bezahlen, pflegt Hachez das Image einer Upper-Class-Institution. Statt teure Fernsehspots zu produzieren, wendet man sich an die erlauchte Prominenz. Persönlichkeiten aus Film, Funk, Fernsehen und der Yellow Press, die auch für das Spielkasino von Monte Carlo werben könnten, wenn es das denn nötig hätten, bürgen für die Bremer Edelmarke: Willy Bogner, Wendelin von Boch und der Graf von Faber Castell geben im Fernsehen Testimonials ab – ganz kostenlos, zum Wohle des Unternehmens und zur Mehrung des eigenen Ruhms. Auf der gleichen Linie liegt das Produkt-Placing der Firma. Teure Anzeigen z.B. im „Lufthansa-Magazin“ schalten – wozu denn. Lieber Gratiswerbung durch Gratispröbchen: Die „brauen Blätter“, ein typisches Bremer Traditionsprodukt, liegt stets auf dem Serviertablett der Business-Class auf den Inlandsflügen. Keine Werbung, sondern ein ausgesprochen prestigeträchtiger Auftrag, sagt Nauck.

Solche strategischen Plazierungen zahlen sich aus. Der „Premium Markt“ der Schokoladenhersteller, zu dem sich Hachez zählt, meldete zuletzt eine jährliche Zuwachsrate von 4,3 Prozent, während die „Konsumanbieter“ einen Rückgang von 7 Prozent hinnehmen mußten.

Den größten Stolz aber empfindet der Schokoladenhersteller gegenüber seinem Produkt selbst. Trotz aller ironischen Untertöne bei den altmodischen Packungsgestaltungen: Bei der Herstellung macht das gediegen Handwerkliche wirklich Sinn. Zehn „Schokoladenmeister“ wachen in der Produktion über die die Qualität der Marke. Mit trainierten Zungen und möglichst objektiv testen sie, ob die braune, süße Masse auch heute wieder den Anforderungen von gestern entspricht. Ihr Ehrgeiz: Die Schokolade soll wie zur Jahrhundertwende schmecken, die alten Rezepte möglichst unverfälscht eingehalten werden. Das Geheimnis ihrers Handwerks: Bei Hachez, so heißt es werksseitig, können sie mit besseren Materialien und unter besseren Bedingungen arbeiten. Anderswo wird vorgefertigte Flüssigschokolade in der Herstellung verwendet; beim Werk in der Bremer Neustadt herrscht das Pure vor.

Das beginnt schon beim Einkauf. Nur fünf Prozent der Weltjahresernte von Kakaobohnen werden überhaupt als würdig eingestuft, um den Ansprüchen der Bremer Schokoladenmacher zu genügen. Und bei der Verarbeitung läßt man sich tatsächlich die Zeit, die andere Firmen der Kundschaft in ihren Kinospots bloß vorgaukeln. Das Rösten des Kakaos geschieht wie in alten Zeiten und die anschließende Behandlung, das „Conchieren“, kann hier bis zu 72 Stunden dauern. Das ist ein gemächliches Tempo für einen Produktionsprozeß, der bei anderen Schokoladenherstellern nur einen Bruchteil der Zeit braucht. Doch für Hachez scheint sich der Aufwand zu lohnen.

Denn am Ende kommt ein Produkt heraus, das tatsächlich etwas typisch Bremisches besitzt. „Milka“, sagt Nauck über die regionale Geschmacksnote seines Konkurrenten, „schmeckt ja auch deshalb so lieblich, weil sie aus Stuttgart kommt.“ Im Norden aber liebt man es etwas herber, nicht nur beim Friesenpils. Durch einen hohen Kakaoanteil von 60 Prozent in der Edel-Bitter-Schokolade kann sich der Bremer die lokale Identität auf der Zunge zergehen lassen. Nördlicher und herber kann Schokolade auch am Nordpol nicht schmecken. Susanne Raubold