Judas ohne Orientierung

■ Herrlichs klägliche Rückkehr beim Gladbacher 2:2 gegen Dortmund

Mönchengladbach (taz) – Was war da im Vorfeld nicht alles vermutet worden – Spießrutenlaufen, Blutrache, Pogrome! Furchtbare Bilder hatten sich in des Volkes Hirn breitgemacht – Heysel, Hillsborough, Bradford: Ganze Waffenarsenale glaubte man unter den Kutten der Fans finden zu können – Baseballschläger, Schreckschußpistolen, Kettensägen! Und was geschah wirklich am Samstag nachmittag? Nix! Keine tätlichen Angriffe, keine eingedrückten Zäune, keine blaulichternden Notarztwagen. Heiko Herrlich konnte für seinen neuen Verein an alter Wirkungsstätte ungehindert seiner Arbeit nachgehen. Was ihn derart verblüfft haben muß, daß er sich eine Leistung knapp oberhalb des Landesliganiveaus erlaubte.

Der Neun-Millionen-Mann war – mental natürlich, wie es sich für Sportler mit absolviertem Rhetorikkurs gehört – auf das Schlimmste eingerichtet. Lothar Matthäus wird am Bökelberg auch zwölf Jahre nach seinem Wechsel zu den Münchner Bayern noch immer gnadenlos verhöhnt, Aber die Gladbacher Fans sind braver, biederer, zivilisierter geworden. Der Haß, den sie auf den abtrünnigen Torschützenkönig der letzten Saison empfinden, kam hausbacken und irgendwie heimelig daher. Gellende Pfiffe, natürlich! Ansonsten vor allem stummer Protest per Transparent: „Herrlich, du Arschloch!“, „Lieber gute Kameradschaft als ein Judas in der Mannschaft“. Ob er sich vorher aus Angst vor Schmähungen mit Ohropax gedopt hatte? Der Stürmerstar jedenfalls wirkte in der alten Heimat taub und blind dazu und torkelte auch ohne Tomaten- oder Speichelbeschuß, sehr zur Freude der Nordkurve, orientierungslos übers Feld.

Die heimischen Fans mußten sich am Ende zwar ärgern, weil Dortmunds Kohler kurz vor dem Abpfiff die Kugel zum unverdienten 2:2 in den Kasten von Kamps geknickert hatte. Doch wichtiger war: Die Zermürbungstaktik hatte gewirkt, der ungeliebte Heiko versagt und die neureiche Dortmunder Borussia ihr Fett ordentlich abbekommen. Zur „Einer geht noch rein“-Melodie schlugen sich die Gladbach-Fans erstmals in 30 Jahren auf die Seite der bajuwarischen Erbfeinde und intonierten gehässig ihren Meisterschaftswunsch: „Lieber Bayern als der BVB!“ Holger Jenrich

Borussia Dortmund: Klos - Sammer - Kohler, Kree - Heinrich, Reuter (79. Berger), Möller, Zorc, Reinhardt - Herrlich (46. Ricken), Chapuisat (46. Riedle)

Zuschauer: 34.500; Tore: 1:0 Dahlin (27.), 1:1 Riedle (57.), 2:1 Dahlin (63.), 2:2 Kohler (89.)

Borussia Mönchengladbach: Kamps - Kastenmaier, Klinkert (59. Stadler), Andersson, Neun - Schneider - Effenberg, Pflipsen (87. Sternkopf), Wynhoff - Nielsen (71. Pettersson), Dahlin