„Shell stand auf verlorenem Posten“

■ Hamburger Kommunikationsforscher haben für Shell den Konflikt um die Entsorgung der Brent-Spar-Plattform ausgewertet: Alles war eine einzige Verschwörung von Greenpeace

Frankfurt/Main (taz) – „Die Wirtschaft, insbesondere die Großunternehmen, werden zunehmend mißtrauisch betrachtet und als eine Macht jenseits einer gesellschaftlichen Kontrolle empfunden. Die Umweltorganisationen genießen auf alle Fälle ein größeres Vorausvertrauen als die Industrie.“ Das ist das vorläufige Fazit einer Studie der Wolfgang Mantow Kommunikationsberatung in Hamburg, die im Auftrag der Deutschen Shell AG die Ereignisse umd die Ölverlade- und Lagereinrichtung Brent Spar von Mai bis August 1995 analysieren will. „Kühl“, wie es im Text heißt. 7.500 Beiträge in den Printmedien und 1.800 TV-Sendungen zum Thema sind ausgewertet worden. Und deshalb dürfe das „Bild in der Chronologie mit all seinen Facetten“ als repräsentativ bezeichnet werden, schreiben Wolfgang Mantow und und sein Mitarbeiter Jens Podeus.

Offenbar hat dieses repräsentative Bild den Autoren keinen Interpretationsspielraum mehr gelassen. Ausgeheckt worden sei die Kampagene gegen Shell von Greenpeace – in einer holländischen Kneipe (Financial Times). Drei Millionen Mark hätten die Umweltschützer dann investiert, um den Weltkonzern in die Knie zu zwingen. Und ohne Rücksichten auf die komplizierten Probleme bei der Entsorgung einer Plattform und die in realiter vorhandenen Altlasten in der Brent Spar seien die Medien und die PolitikerInnen vor allem in Deutschland auf den Kampagnenzug aufgesprungen.

Deshalb, raten die Autoren, werde es in Zukunft „gerade für Großunternehmen“ dringend notwendig sein, die Instrumentarien und Methoden der konventionellen Öffentlichkeitsarbeit zu überdenken und gezielt auf systembedingte Zwänge in der Medienlandschaft zu reagieren: „Für die aktive Unternehmenskommunikation ist das Neuland. Aber die bisherigen Verfahren scheinen nicht mehr produktiv zu sein.“

Für die Kommunikationsforscher ist die Kampagne gegen die Versenkung der Brent Spar der „Prototyp“ für künftige Aktionen von Greenpeace – und ein „Paradebeispiel“ auch für andere Umweltschutzorganisationen: „Spektakuläre Action mit Medienbegleitung“, dazu flankierende flächendeckende lokale Protestaktionen – alles inszeniert mit Blick auf die Boykottbewegung.

Greenpeace habe es so geschafft, die Meinungsführerschaft zu erringen und zu behalten. Die diversen Aufrufe zum Boykott der Shell-Tankstellen seien „geschickt“ von einer von Greenpeace bestellten Emnid-Umfrage über die Boykottbereitschaft in der Bevölkerung vorbereitet worden. Danach stand Shell alleine da: verlassen von den Politikern, sogar von der eigenen Branche: „Zeichen einer Solidarität waren nicht zu bemerken. Das galt selbst für Esso, die zu 50 Prozent an der Brent Spar beteiligt ist.“ Damit, haben die Autoren erkannt, stand „Shell auf verlorenem Posten“.

Nur haben die Kommunikationsforscher vergessen, im Hamburger Greenpeacebüro nachzufragen. Ob die Boykottkampagne gegen Shell tatsächlich als „Prototyp“ für künftige Performances von Umweltschutzgruppen gelten kann, ist dort sehr umstritten. Der Schlüssel für den zukünftigen Kampf von David gegen Goliath sei die noch unbeantwortete Frage, welchen Bewußtseinsprozeß Brent Spar bei den begeisterten Boykotteuren in Gang gesetzt habe, heißt es im Greenpeace-Report „Brent Spar oder die Zukunft der Meere“. Shell zu boykottieren sei zwar ein „guter Anfang“ gewesen, aber auch eine „leichte Übung“. Klaus-Peter Klingelschmitt