Spontaner Volkszorn stützt militante Rechte

■ Vor kurzem waren es noch einsame Rufer, die Ministerpräsident Peres als Verräter bezeichneten. Gestern skandierten die Massen mit ihnen und forderten „Tod den Arabern“

„Grauenvoll! Grauenvoll!“ Eli schreit, wenn er schildert, wie der Bus unten auf der Straße vor weniger als einer halben Stunde explodierte. Direkt vor dem Hauseingang, den Eli nur Sekunden vorher betreten hatte. Wie jeden Morgen öffnete er den Hintereingang zu seinem Falafelstand, als es krachte. Dann folgte ein Luftstoß, ein Metallstück wurde bis in den ersten Stock hinaufgeschleudert. Doch das war nicht das Schlimmste: Auch Leichenteile wurden durch die Gegend geschleudert. Wenig später kamen Männer mit weißen Plastiksäcken und sammelten alles ein. Eine Stunde später schreit Eli immer noch, diesmal in einer Gruppe aufgebrachter Demonstranten vor dem Tatort. „Tod den Arabern ... Rache ... Peres Verräter ... Peres Mörder!“ Sprüche, die nach dem Attentat auf Jitzhak Rabin kaum noch zu hören waren – jetzt werden sie wieder aus der Kehle geschleudert. Vor allem als Schimon Peres dann vor den noch rauchenden Bustrümmern aus dem Auto steigt. Leicht haben es heute die „Aasgeier“. Bekannte Gesichter, die Minuten nach Anschlägen bereits am Tatort „spontanen Volkszorn“ anheizen. Vor einer Woche noch blieben diese militanten Ultrarechten fast unter sich. Diesmal schreien Hunderte mit. Die Bergungsarbeiten sind nach zweieinhalb Stunden beendet. „Leider haben wir dabei viel zu viel Übung“, stellt Bürgermeister Ehud Olmert frustriert fest.

Nur hundert Meter vom Tatort entfernt liegt die arabische Altstadt. Von Einigkeit ist hier wenig zu spüren. „Kein normaler Mensch kann so etwas heute noch rechtfertigen. Es gibt ein Abkommen, da kann man nicht mehr einfach Bomben werfen, als sei nichts passiert“, schimpft ein junger Mann in einem abgeschabten Anorak. Wütend zuckt er mit den Schultern, als ein Händler sich einmischt. „Die israelische Regierung kann sich nur über sich selbst beschweren“, wirft der ein. „Ohne deren Attentate gegen Hamas-Führer Fatim Schakaki und gegen den Bombenbauer Jahja Ajasch wäre heute alles ruhig.“

Am anderen Ende der Stadt liegt das Katamon-Viertel. Von hier kommen auch diesmal wieder die meisten Opfer. Wer kein Auto hat, dem bleibt nur der Bus. In den eintönigen Häuserreihen wohnen Juden, die vor 40 Jahren aus den arabischen Ländern nach Israel kamen. Die russischen EinwandererInnen, die in den letzten Jahren hier einzogen, wollen so schnell wie möglich hier raus. Wie die Kuschnirovs. Eng umschlungen wurden ihre verkohlten Leichen beim letzten Attentat vor einer Woche aus dem Bus gezogen. Sie waren auf dem Weg nach Aschkalon, um eine eigene Wohnung zu kaufen. Ihr achtjähriger Sohn Wladek geht seit gestern wieder zur Schule. Für ihn sind die traditionellen sieben Trauertage beendet. Wladek hat noch nicht gehört, daß der heutige Umzug zu Purim, zum jüdischen Karneval, abgesagt wurde. Die Erklärungen der Schulpsychologen wird er als Cowboy verkleidet anhören.

Im Nachbarhaus kehren Menschen vom Friedhof zurück. Dort enden die sieben Trauertage mit einem Gebet am Grab. Für eine andere Familie, im selben Block, haben sie heute erst begonnen.

Der israelische Rundfunk kennt nur ein Thema: „Dies ist keine Wiederholungssendung vom letzten Sonntag“, vergißt zynischerweise keiner der Moderatoren anzumerken. „Radio Falastin“ läßt einen Hamas-Sprecher zu Wort kommen. Seine Erklärung „Rache für ...“ bringt nichts Neues. Aber die Reaktion des Interviewers war ungewohnt: „Hören Sie doch endlich auf, Morde an unschuldigen Frauen und Kindern als Kampfaktion zu bezeichnen“, fährt der Journalist seinen Gesprächspartner an. „Das ist doch klarer Terror. Wie soll man das denn noch beschönigen?“ Amos Hermann, Jerusalem