Verpopgreisung

■ Peter Mussbach inszenierte Glucks Oper Armide als bunten Phantasierausch ohne kritischen Ansatz

Die Welt hält soviel Bildmaterial bereit, um historische wie persönliche Konflikte zeitgemäß zu illustrieren, ohne die Bezugsrahmen des ursprünglichen Entwurfes zu verleugnen – warum greifen Opernregisseure hier nicht zu? Die Inszenierung von Glucks Armide durch Peter Mussbach, die Sonntag Premiere an der Hamburg Oper hatte, kann in der Verdrängung dieser Frage geradezu exemplarisch zeigen, wie alles beliebig wird, wenn der Effekt über die Analyse geht, die ungebrochene Phantasie über die dramaturgische Goldschmiedekunst.

Denn Armide bietet einen historischen Hintergrund, für den passende Bilder zu finden eigentlich eine ernste Herausforderung für denjenigen Regisseur sein müßte, der nicht nur bunt, teuer und flauschig sein will. Der religionsimperialistische Krieg, den die mitteleuropäischen Ritterhorden in Palästina entfachten und der als die „Kreuzzüge“ höchst verklärt in die hiesige Geschichtsschreibung einging, ist eigentlich kein Ereignis, das als Fundament dazu prädestiniert ist, die Ewiglichkeit der Liebesprobleme zwischen Mann und Frau auszubreiten.

Wenn dann die Liebenden auch noch aus den unterschiedlichen Lagern kommen, Kulturen, Religionen, Feindbilder und sexuelle Erregung aufeinanderprallen, dann ist Mussbachs Antwort – ein bunter Stilmischmasch mit putzigen Ausstattungsideen – mehr Hohn am Sujet als kritische Regie. Anstatt den Kampf der schönen Armide, die mit ihrem Blick die feindliche Ritterarmee entmachtet, mit Renaud, welcher einzig ihrer Fraulichkeit widersteht und sie dann schließlich nach einigem Liebeszauber überwindet, auf den Subtext des damaligen Weltkrieges hin abzuklopfen, verplustert sich Mussbach in Liebeslauben-Melancholie, die ohne ihren Subtext allerdings höchst fahl und langweilig bleibt.

Der Regisseur, der in Hamburg zuletzt mit seiner abstrakt-monumentalen Inszenierung von Rihms Die Eroberung von Mexiko bei den Kritikern einigen Beifall fand, versenkt Glucks Oper in Manierismen und knallige Farbwechsel. Mit Bühnen auf der Bühne verlegt Mussbach die einzelnen Szenen in ein barockes Zimmer mit Dschungeltapete, eine klassizierende Lounge, ein Türkenbad und ein kahles Hotelzimmer mit flackernder Neonreklame vor dem Badezimmerfenster. Und seine Ausstatterin Andrea Schmidt-Futterer folgt ihn bei diesen Bockssprüngen durch die Genres und Jahrhunderte indem sie Armides Onkel als Lederschwulen auftreten läßt, den begehrten Ritter Renaud abwechselnd als eine Kreuzung aus Motorradbullen und Samurai oder als rundbäuchigen Gockel ausstaffiert, Amor als Putte stilisiert und – als Gipfel der Kulturignoranz – den gemischten Chor in der Schador, der Ganzkörperverschleierung muslimischer Frauen, auftreten läßt. Dazu kreischt das Licht von Rot in Gelb nach Blau und Trockeneisnebel verhüllen die sinnentleerte Malkastenwelt mit einem Lendenschurz der Schamlosigkeit.

Weiteste Entfernung von jeder Wirklichkeit scheint die Maxime Mussbachs zu sein. Angesichts aktueller Parallelen zwischen dem mörderischen Religionswahn am Anfang des Jahrtausends und den Konflikten in Bosnien oder Israel kann Mussbachs Arbeit wirklich nur noch als Fluchtinstinkt des Regisseurs in die Märchenwelt verstanden werden.

Zu Mussbachs Verpopgreisung trifft es sich kongenial, daß Gerd Albrecht die Philharmoniker bei leidenschaftlichen Momenten in die Hektik treibt, bis weder Chor noch Sänger mitkommen, und beim richtigen Schmonzes weder Groove noch Galantheit aus dem Orchester zaubert. Einzig Olga Romanko, die Mussbachs Melancholie-Konzept für die Hauptfigur sowohl charakterlich wie stimmlich gekonnt transportiert, bewahrt diesen Abend vor dem Theaterschlaf.

Till Briegleb