Menschenleben zählt nichts

■ Der Bremer Journalist Mrozek gründet Stiftung für mutigen Journalismus in Russland

Gisbert Mrozek wirkt müde. Doch die leichten Schatten unter seinen Augen verraten vermutlich nur einen Bruchteil jener Anstrengungen, die der Bremer Journalist in den letzten Monaten in Kauf genommen hat, um eine Stiftung für seine erschossene Frau Natalia Alijakina-Mrozek ins Leben zu rufen. Die russische Journalistin war am 17. Juni des vergangenen Jahres an einem Kontrollposten in der Nähe der südrussischen Stadt Budjonnowsk erschossen worden. Sie war mit ihrem Mann auf dem Weg zu einem Krankenhaus, das von einen tschetschenischen Kommando in Budjonnowsk besetzt worden war. Die 40jährige Journalistin arbeitete für das Nachrichtenmagazin Focus und für die russische Agentur „rufo“.

Gestern gründete Mrozek mit 26 Mitgliedern die Stiftung zur Förderung des Journalismus „Natalia Aljakina-Mrozek“. 90.000 Mark Startkapital hat Mrozek in den letzten Monaten gesammelt. „Das reicht erstmal, um die Arbeit aufzunehmen“, ist Mrozek optimistisch. Mit seiner Stiftung will er der russischen Journalisten den Rücken stärken – denn dort wird das Wort „Pressefreiheit“ klein geschrieben. „Wir bewegen uns auf einen Weg zurück in eine geschlossene Gesellschaft“, bedauert auch Vorstandsmitglied Igor Golembiowskij. Der Chefredakteur der russischen Zeitung „Isvestija“ sitzt im Vorstand der Stiftung. „Wenn das geschieht, wird es finster – und zwar nicht nur für Rußland, sondern auch für Europa“, ergänzt Mrozek. Deshalb will die Stiftung jährlich einen Journalistenpreis für herausragende Leistungen vergeben. Das erste Mal soll der Preis am 17. Juni 1997, dem Todestag von Natalja Aljakina, vergeben werden. Junge, russische Nachwuchsjournalisten fördern und einen Austausch zwischen deutschen und russischen Redaktionen organisieren.

„Die Stiftung ist ein schwacher Versuch, etwas Positives aus dem Schrecken von Budjonnowsk zu machen – der Versuch, aus diesem fürchterlichen Tot etwas zu machen, das in die Zukunft gerichtet ist“, sagt Mrozek. Die Arbeit für die Stiftung ist für ihn zu einer „Überlebenstechnik“ geworden, um den Tod seiner Frau zu verarbeiten. Die Hoffnung, daß die Umstände ihres Todes je restlos aufgeklärt werden, hat er aufgegeben.

Am Kontrollpunkt war es damals mit den Soldaten zu einer Auseinandersetzung gekommen, weil der Wagen der beiden Journalisten angeblich zu schnell auf den Kontrollpunkt zugefahren war. Nachdem der Wagen durchsucht und die Papiere kontrolliert worden waren, konnte das Journalisten-Ehepaar schließlich passieren. Einer der Soldaten wünschte den Reportern noch eine gute Fahrt. Dann fielen die tödlichen Schüsse. Die genauen Umstände der Tat sind bis heute ungeklärt. „Wir sollten eingeschüchtert werden“, vermutet Mrozek heute noch. Von der Verhandlung im März oder April vor dem Militärgericht in Stawropol, verspricht sich Mrozek wenig. „Die legen sich die Tatversion sowieso zurecht, so wie es gerade paßt“, sagt Mrozek resigniert.

Der 18jährige Rekrut, der damals die tödlichen Schüsse abgab, ist für ihn nur „ein Sündenbock“. Innerhalb eines Jahres sei über 100 mal auf Journalisten geschossen worden. „Das geschieht um Journalisten einzuschüchtern, oder weil es schön ist, wenn sie mit dem Gesicht im Dreck liegen“, sagt Mrozek. Der bittere Unterton in seiner Stimme ist nicht zu überhören. „Das Innenministerium hat in der Armee ein regelrechtes Feindbild aufgebaut, und den Haß gegen Journalisten regelrecht geschürt. Da drüben zählt ein Menschenleben ja nichts.“ kes