■ Bei jugendlichen Aussiedlern steigt die Kriminalität: Wahlkampf und Statistik
Die Extreme in der unseligen Debatte über Aussiedlerkriminalität verkörpern die beiden Herren, die da gestern in Hannover die niedersächsische Kriminalstatistik präsentierten: Landesinnenminister Gerhard Glogowski hatte jüngst jugendlichen Spätaussiedlern „Anspruchsmentalität“, „Aggressivität“ und „Schlendrian“ unterstellt und damit wieder einmal die Opfer des Kahlschlags bei der Aussiedlerintegration zu Schuldigen erklärt. Neben ihm sitzend betonte der hannoversche Kriminologe Christian Pfeiffer ohne Unterlaß, daß niemand aus Spaß kriminell wird, sondern weil die Armut ihn dazu treibt. Für seinen Befund, daß jugendliche Aussiedler heute öfter klauen gehen als noch vor fünf Jahren, hat sich Pfeiffer dabei fast entschuldigt. Als er seine Untersuchungen begann, wußte er noch nicht, daß deren Ergebnisse in die Zeit einer Wahlkampfkampagne fallen würden.
Pfeiffers Befunde sind allerdings mit Vorsicht zu behandeln. Es gibt in der Bundesrepublik keine Kriminalstatistik, die nach deutschen Aussiedlern und anderen Deutschen trennt. Sozusagen hilfsweise hat Pfeiffer deshalb die Kriminalitätsentwicklung in den niedersächsischen Landkreisen mit dem höchsten Anteil an Aussiedlern mit der in Landkreisen mit sehr niedrigem Aussiedleranteil verglichen. Plausibel sind die Befunde jedoch allemal: Aussiedlern wird heute nach ihrem Zuzug nur noch ein halbes Jahr lang eine Integrationschance gegeben. Wer bis dahin keinen Job gefunden hat, landet ohne jedwede Ansprüche auf Leistungen des Arbeitsamts in der Sozialhilfe.
Diesem Zusammenhang zwischen Sozialhilfebezug als Indikator von Armut und dem rapiden Anstieg von Jugendkriminalität hat die jüngste Untersuchung des Kriminologischen Forschungsinstituts am Beispiel der Aussiedler nur einmal mehr nachweisen wollen. Die permanente staatliche Umverteilung von unten nach oben hat eben auch zur simplen Folge, daß sich gerade Jugendliche einen Teil des Vorenthaltenen auf ungesetzlichem Wege zurückzuholen versuchen. Dies allerdings oft um den Preis, dabei die eigene Zukunft zu ruinieren.
Natürlich verlangte auch Glogowski gestern, daß der Bund seine Zahlungen für die Integration der früher auf dem Arbeitsmarkt so erfolgreichen Aussiedler wieder auf das alte Niveau hochschraubt. So recht der Minister in diesem Punkt hat, so scheinheilig ist er, wenn er sich gleichzeitig zum Sprachrohr des Ressentiments macht. Und auch Christian Pfeiffer hat eben bei allem guten Willen Material für eine rechtspopulistische Wahlkampfkampagne geliefert. Jürgen Voges
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