Koalition will zügig privatisieren

■ Yilmaz wird neuer türkischer Ministerpräsident. Erbakan kündigt harte Opposition gegen Minderheitsregierung an

Ankara (taz) – Noch in dieser Woche wird das neue türkische Kabinett unter Vorsitz von Mesut Yilmaz von der rechtsbürgerlichen „Mutterlandspartei“ gebildet werden. Am Sonntag hatten sich Tansu Çiller von der „Partei des rechten Weges“ und Yilmaz auf eine Koalition geeinigt und das Koaltionsprotokoll unterzeichnet. Die „Partei des rechten Weges“ wird 17, die „Mutterlandspartei“ 16 Minister stellen. Die umstrittene Frage, welche Partei den Ministerpräsidenten stellen wird, ist durch ein im Koaltionsprotokoll festgelegtes Rotationsverfahren gelöst worden. Bis zum Ende dieses Jahres wird Yilmaz das Amt führen. Es folgt eine zweijährige Amtsperiode Tansu Çillers und erneut eine einjährige Amtsperiode von Yilmaz. Im fünften Jahr der Legislaturperiode soll ein dritter Politiker aus den Reihen der „Partei des rechten Weges“ die Amtsgeschäfte führen.

„Umstrukturierung des Staates“ ist ein Kernstück der Koaltionsvereinbarung. Zügig sollen die öffentlichen Betriebe und staatlichen Banken privatisiert werden. Auch die staatliche Kranken- und Rentenversicherung soll aufgelöst und in private Hände übergeben werden. „Der Staat wird sich aus wirtschaftlichen Aktivitäten zurückziehen und bürokratische Hindernisse werden ausgeräumt werden“, heißt es in der Koalitionsvereinbarung.

Die staatliche Subventionierung der Landwirtschaft soll schrittweise abgebaut werden. Der Agrarsektor habe sich am „internationalen Wettbewerb“ zu orientieren. In der Kurdenpolitik bleibt alles beim Alten. Mit „Entschlossenheit“ werde der „Kampf gegen den Terrorismus fortgesetzt“. In der Koaltionsvereinbarung findet sich kein einziger Satz, der als Indiz für eine liberalere Kurdenpolitik gewertet werden könnte.

Die neue Koalition wird ein Minderheitenkabinett stellen. „Die Partei des rechten Weges“ und die „Mutterlandspartei“ verfügen über 261 Sitze in der 550köpfigen Nationalversammlung. Das Vertrauensvotum ist allerdings gesichert, weil die „Partei der Demokratischen Linken“ unter Vorsitz von Bülent Ecevit sich der Stimme enthalten wird. Die beiden sozialdemokratischen Parteien widersetzten sich vehement einer Regierungsbeteiligung der islamistischen „Wohlfahrtspartei“. Deshalb wird die rechtsbürgerliche Koaltion geduldet.Die Koaltion ist eine Zwangsehe der verfeindeten PolitikerÇiller und Yilmaz, um eine Machtbeteiligung der Islamisten zu verhindern. Aus „mütterlicher Sorge um die Zukunft des Landes und um eine Beteiligung der Wohlfahrtspartei an der Regierung zu verhindern“, habe sie Zugeständnisse gemacht und darauf verzichtet, als erste das Amt des Ministerpräsidenten zu übernehmen, kommentierte Çiller die Koaltionsvereinbarung.

Es erscheint indes fraglich, wie das rechtsbürgerliche Minderheitenkabinett der starken islamistischen Opposition standhalten wird, zumal zentrale programmatische Aussagen, wie die Privatisierung von den Linksparteien ebenfalls abgelehnt werden. Oppositionsführer Necmettin Erbakan bezeichnete die neue Regierung als „Fehlgeburt“ und kündigte eine harte Opposition an. Selbst innerhalb der Koaltionsparteien ist Skepsis angesagt. So bei dem stellvertetenden Vorsitzenden der Mutterlandspartei, Ekrem Pakdemirli: „Falls wir keinen Erfolg haben – und die Erfolgsrate liegt unter 50 Prozent – ist die rechte Mitte keine Alternative mehr bei den künftigen Wahlen. Und dann folgt eine radikale Mehrheit. Dann wird die Türkei zu Algerien. Davor habe ich Angst.“ Ömer Erzeren