Provinzfürsten lassen das Wasser steigen

■ Naturschutzbund beklagt „Kleinstaaterei“ in der Hochwasservorsorge. Gewerbegebiete in den Auen und flußnahe Deiche verschärfen die Situation nur

Berlin (taz) – Die Rheinanliegerstaaten riskieren neue Jahrhunderthochwasser. Sie halten an überholten Konzepten wie dem Bau immer höherer Deiche fest, kritisierte der Geschäftsführer vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu), Gerd Billen, gestern in Bonn. Ein solcher Umgang mit dem Problem habe sich spätestens mit den Überschwemmungen vom Dezember 1993 und Januar 1995 als untauglich erwiesen.

Durch „Kleinstaaterei“ von Kommunen am Rhein werde eine konsequente Vorsorgepolitik blockiert, meinte Billen. Niemand wolle auf lukrative Gewerbegebiete oder auf Bauland verzichten. Während man in Köln noch höhere Schutzmauern plane, würden in Rheinland-Pfalz, Hessen und Baden-Württemberg immer neue Gewerbegebiete in die Auen gesetzt. Am Niederrhein drohten die vom Umweltministerium geplanten Rückverlegungen von Deichen am Widerstand von Landwirten und Kiesindustrie zu scheitern.

Der Nabu-Mann forderte Umweltministerin Angela Merkel (CDU) auf, endlich ein wirkungsvolles Bodenschutzgesetz durch den Bundestag zu bringen. In ihrem Entwurf werden lediglich ein paar relativ marginale Vorgaben genannt, die Überschemmungen entgegenwirken könnten.

Völlig ohne Wirkung blieb bisher der Vorschlag des Umweltbundesamtes (UBA), Bauvorhaben auf ihre Hochwasserrelevanz hin zu überprüfen: Schließlich ist die Versiegelung von Flächen, insbesondere in Städten, eine wichtige Ursache der Überschwemmungen. Auf 11,8 Prozent des Bodens kann das Wasser in Deutschland nicht mehr versickern; 1945 waren es erst 5,7 Prozent.

Das UBA hält die Renaturierung von Flüssen für den zentralsten Punkt bei der mittelfristigen Verhinderung von Überflutungen. Im neuen Bundesnaturschutzgesetz sollen allerdings nur unverbindliche Absichtserklärungen Eingang finden. Und das Bundesverkehrsministerium hält nach wie vor an der Absicht fest, auch die ostdeutschen Flüsse Elbe, Saale und Havel zu Wasserstraßen für große Schiffe auszubauen. Dabei zeigen die Erfahrungen am Rhein, daß Flußbegradigungen und Staustufen die Hochwassergefahr extrem verschärft haben. Die Fließgeschwindigkeit durch eine Verkürzung des Oberrheinlaufs um 82 und des Niederrheins um 23 Kilometer hat die Fließzeit halbiert und zugleich die Hochwasserspitze nach oben getrieben. Die Verringerung der Überschwemmungsgebiete am Oberrhein durch Staustufen und Deiche ließ 87 Prozent der Auenwälder zwischen Basel und Karlsruhe sterben – und in Köln häufiger die Möbel wegschwimmen. aje