Zwischen Antifa und Stammtisch

■ Ein Middlebrow-Event: Guido Knopp stellte sein Buch „Hitler – eine Bilanz“ vor

Wenn aus dem Wandsbeker Quarrée das Leben gewichen ist und das Zitruskonzentrat aus den Sprühflaschen der Fensterputzerkolonnen in den Wandelgängen seine reinigende Kraft verbreitet, schlägt die Stunde für „Weiland Live“. Zur Eröffnung seiner diesjährigen Reihe von Lesungen und Vorträgen hatte das Wandsbeker Buchhaus am Montag Guido Knopp angekündigt, verantwortlicher Redakteur der ZDF-Serie „Hitler – Eine Bilanz“ und Autor des gleichnamigen „Buches zur Serie.“

Vereinzelte Interessierte, die entlang der quarréekonformen Glasfront stumm Position bezogen haben, werden ab 19 Uhr 10 von einem kleinen, aber steten Strom Orts- und Ereigniskundiger in den ersten Stock zur Sachbuchabteilung getragen. Dort besetzen und füllen sie die sieben Stuhlreihen zu je zehn biegsam-schmiegsamen Plastikschalen mit Blick aufs Rednerpult, das zwischen den Regalrubriken „Spannung“ und „Bestseller“ publikumsgerecht plaziert ist.

Der Vortragende erscheint pünktlich um 19 Uhr 30 durch eine Seitentür. Der vom Bildschirm und auch noch von den Plakaten vertraute Bart ist zwar ab, dafür bietet ein blauer Seidenrolli mit farblich entsprechendem Einstecktuch im schwarzen Blazer optischen Ersatz. „Wir sind alle die Erben Hitlers, ob wir wollen oder nicht“, und „erst macht die Geschichte ihn, dann machte er Geschichte“, beginnt Knopp seinen Vortrag, in dem er die nächsten 30 Minuten von diesem Sprachduktus nicht mehr abweichen wird. Ohne Versprecher und stockungsfrei wiegt er die Zuhörer in verhaltenem Paßgang durch das Thema. Er überfordert sein Publikum nicht, aber er fordert es auch nicht, wie er sagen würde.

Ein zwölfminütiger Zusammenschnitt aus der sechsteiligen Fernsehdokumentation rundet den Vortrag ab und auch hier setzt die sonore Stimme Peter Striebecks die Knoppsche Sprachmelodie fort: „Hitler steht fern von Gott, er macht sich selbst zum Götzen“.

Das Publikum, ein optisch eher unscheinbar-vorortig anmutender Querschnitt beiderlei Geschlechts zwischen Anfang 20 und Mitte 60, sucht nicht die Diskussion mit Knopp, will auch nichts über ihn oder seine Arbeit wissen. Statt dessen Fragen wie: „Warum ist das Ausland erst so spät militärisch gegen Hitler vorgegangen ?“ oder „Warum hat er eigentlich die Religion nicht abgeschafft ?“ Das kenne die Fragerin bei Diktaturen so aus der Geschichte. Fast zwei Stunden lang heben sich so die Arme auf der Suche nach Erklärungsmustern.

Knopp kommt diesem Bedürfnis geduldig und unprätentiös entgegen. Sein Publikum ist „der Mainstream, der auch heute nicht rechtsradikal wählt“, sind die moralischen Strukturen, „wie sie sich nach 1945 im Wiederaufbau der SPD-Ortsvereine und der umgehenden Gründung der CDU niederschlugen“.

Für dieses Publikum ist Guido Knopp die öffentlich-rechtliche Instanz zwischen Antifa und Historikerstreit, „für Hitler nicht verantwortlich, doch verantwortlich für das Erinnern“.

Heinz-Günter Hollein

Guido Knopp, „Hitler - eine Bilanz“, Siedler-Verlag, 46,80 Mark