Staunendes Gericht

■ Ein Ethnologe interpretiert im Mordprozeß die Verhaltensmuster der angeklagten Malaiin

„Das ist ein ganz teuflischer Mix aus den verschiedensten Theorien, wie wir sie in der Esoterik kennen, ich biete Ihnen dazu alles zwischen Arktis und Antarktis an – mit Buddhismus jedenfalls hat es nichts zu tun“, sagte Götz Mackensen, Fachreferent für Entwicklungspolitik am Bremer Überseemuseum. Gefragt worden war er nach dem seltsamen spirituellen Ritual, das der Erdrosselung einer jungen Bremerin vorausgegangen war. Man erwartete sich etwas Aufklärung über die verwirrenden Aussagen der dieses Mordes angeklagten Malaiin (wir berichteten). Mackensen legte dem Landgericht ein Gutachten zu soziologischen und ethnologischen Hintergründen der Traditionen Südostasiens vor.

In den letzten Verhandlungstagen des Mordprozeßes ging es viel um die Frage nach möglichen Motiven der Angeklagten, viel auch um die Suche nach Erklärungen zum Verhaltensmuster der Malaiin. Ihre Verteidigerin scheint sie von der Anklage des „Mordes aus niedrigen Beweggründen“ entlasten zu wollen. Auch Dr. Mackensen wurde auf Anregung der Verteidigung mit dem Gutachten beauftragt.

„Zauberei ist in Südostasien ein beliebtes Gesellschaftsspiel“, kommentierte der Ethnologe das Hantieren der beiden Frauen mit Farbbändern, das Zusammenbinden der Handschuhe, unter welche Limonen gesteckt waren. Zauberei als solches sei im Kulturkreis der Angeklagten jedoch ernst gemeint, müsse also auch ernst genommen werden.

Die Malaiin habe anscheinend auch nach über 20 Jahren in Deutschland keine neuen Handlungsmuster entwickelt, fuhr Mackensen fort. Er verwies auf die Bedeutung der Großfamilie in Südostasien, die auch in Extremsituationen für die Reintegration ihrer Familienmitglieder sorge. Selbst eine Amok-Handlung werde als Hilferuf verstanden und aufgefangen.

Dr. Mackensen wurde von Seiten des Gerichts viel Aufmerksamkeit geschenkt. Er schoß zuweilen etwas über seine Rolle als ethnologischer Gutachter hinaus und lieferte (psychologische) Interpretationen zum Verhalten der Malaiin gleich mit. Weder die Richterin noch der Nebenkläger geboten Einhalt.

Immer noch ist dagegen das Alibi des Freundes der Angeklagten ungeklärt. Sie hatte ihn durch ihre Aussage mitbelastet. Der Freund hatte gegenüber der Polizei eine Fahrt nach Magdeburg angegeben – die erst bei der Verhandlung nachgefragten Tachoscheiben waren nicht die richtigen. Die entscheidenden sind bis heute noch nicht aufgetaucht. Es wurde auch nicht entsprechend nachgehakt.

Am sechsten Verhandlungstag gab dann gestern der Ehemann der Ermordeten unter Ausschluß der Öffentlichkeit eine persönliche Erklärung ab. Er soll eine Falschaussage widerrufen haben. Was er sagte, bleibt Spekulation.

Geklärt scheint dagegen nun zu sein, daß die Ermordete zur Tatzeit weder Alkohol noch Drogen im Blut hatte. Rechtsmediziner Michael Birkholz entkräftete beides und sagte weiter, „es ist nicht davon auszugehen, daß die Frau die Erdrosselung regungslos hingenommen hat.“ Bluteintrocknungen am Oberschenkel und an den Schultern sowie Verschorfungen an den Ellenbogen wiesen darauf hin. Es müsse zu zusätzlichen Körperverletzungen gekommen sein. „All dies ist Ausdruck von stumpfer Gewalt“, so der Rechtsmediziner.

Eine Randbemerkung: Verteidigung und Nebenkläger tragen inzwischen ihre beruflichen Interessen auch vor dem Gericht aus – die Verteidigerin warf dem Nebenkläger vor, er habe („als ehemaliger Leiter des Kriminalamts“) unrechtens die Polizei zu weiteren Ermittlungen angeregt und den Staatsanwalt dabei übergangen. sip