piwik no script img

Nationalpark schützt zu wenig

Nach zehn Jahren Nationalpark Wattenmeer ziehen Umweltverbände zwiespältige Bilanz: Abgestorbene Flecken und neue Salzwiesen  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Das Ökosystem niedersächsisches Wattenmeer ist ernsthaft bedroht, obwohl es seit zehn Jahren als Nationalpark unter Schutz steht. Sehr zwiespältig fiel gestern in Hannover die Bilanz aus, die die niedersächsischen Umweltverbände zum Zehnjährigen des „Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer“ zogen. Nach Ansicht des Naturschutzbundes, des BUND und des WWF hat sich die Situation im Wattenmeer, dem wichtigsten zusammenhängenden Ökosystem hierzulande, keineswegs durchgreifend verbessert.

Zwar habe es in Teilbereichen Fortschritte beim Wattenmeerschutz gegeben, betonte gestern Holger Wesemüller von der Umweltstiftung WWF-Deutschland. So gibt es heute mehr Salzwiesen als noch vor zehn Jahren und neue Vogelarten in einigen Gebieten. Auch seien die Herzmuschelbestände nach dem Verbot der entsprechenden Fischerei heute nicht mehr bedroht.

Als unwirksam hat sich der Nationalpark allerdings gegen die fortschreitende Überdüngung des Wattenmeeres erwiesen. „Im Ostfriesischen Wattenmeer waren in den vergangenen Jahren zum Teil 30 Prozent der Fläche von stinkenden Flecken abgestorbener Algen übersät“, warnte gestern Ulrike van der Meer für den BUND. Die Gebiete mit diesen sogenannten schwarzen Flecken hätten in den letzten Jahren stark zugenommen. Ursache für dieses periodische Wattsterben ist der ungebremste Eintrag von Phosphaten und Nitraten über die Flüsse in den Nationalpark. Zwar habe sich die Bundesrepublik gemeinsam mit den Niederlanden und Dänemark verpflichtet, die Meeresdüngung durch die aus Abwasserrohren und Landwirtschaft stammenden Chemikalien um 50 bis 70 Prozent zu reduzieren. Doch konkrete Maßnahmen, die vor allem bei der Landwirtschaft ansetzen müßten, sind bisher ausgeblieben.

Auch zum zehnten Geburtstag des Nationalparks vermissen die Umweltverbände das seit Bestehen angekündigte „Nationalparkprogramm“, in dem die Leitlinien für die Weiterentwicklung und künftige Nutzung des Schutzgebietes festgelegt werden sollen.

Kompetenzwirrwarr zwischen Bundes- und Landesbehörden und eine fehlende durchschlagkräftige Verwaltung hätten dem Nationalpark geschadet. Fünfzehn Zivildienstleistende und sieben hauptamtliche Kräfte arbeiten derzeit für die Nationalparkverwaltung. Mindestens weitere 50 hauptamtliche Nationalparkranger bräuchte es zusätzlich, fordern die Verbände. Im Wattenmeer liegt die Nationalparkverwaltung bisher unter dem Niveau jedes Entwicklungslandes, bedauerte Holger Wesemüller gestern.

Auch die industrielle Nutzung und die zunehmende Schiffahrt bedroht den Nationalpark. So senkt sich etwa in einzelnen Gebieten der Wattboden durch die Erdgasförderung ab. Einen geplanten Off-Shore-Windpark am westlichen Rand des Nationalparks lehnen die Umweltschützer aus Gründen des Vogelschutzes ab, ebenso wie eine neue Schiffahrtsrinne, die Jade und Weser mitten durch das Schutzgebiet verbinden soll.

Vergeblich warten die Verbände schließlich schon seit Jahren auf eine Erweiterung des Schutzgebietes um den Dollart und die Mündungen der Flüsse. Zumindest die Einbeziehung des Dollart- Beckens in den Park sei jederzeit möglich, da Landesregierung und Wirtschaft die Pläne für den Bau eines Dollart-Hafens bei Emden ohnehin ad acta gelegt haben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen