„Wunder“ von Berlin

■ Senat will durch massive Verkäufe das 5,3-Milliarden-Defizit schließen

Berlin (taz) – Nach 41 Stunden zäher Verhandlungen traten die Matadore vor die Presse, als hätten sie ein Wunder vollbracht. Es sei ein „einmaliger Vorgang“, meinte gestern Berlins neue Finanzsenatorin Annette Fugman-Heesing (SPD), daß die Landesregierung eine Lücke von 5,3 Milliarden Mark in diesen Haushaltsjahr geschlossen habe. Das Wunder fußt vor allem auf Verkäufen aus dem Vermögen des Landes. Dies wird auf 130 Milliarden Mark geschätzt.

Rund zwei Milliarden Mark sollen noch in diesem Jahr hereinkommen. Weitere 2,1 Milliarden werden durch Kürzungen bei den konsumtiven Sachausgaben erwirtschaftet. Darunter fallen unter anderem Leistungen aus den Sozialetats der 23 Berliner Bezirke. Auch im Baubereich wird mit 800 Millionen Mark der Rostift angesetzt.

Erst vor rund zwei Wochen hatte die Finanzsenatorin die desolate Haushaltslage des Landes offengelegt. Bis 1999, so die Schätzungen ihrer Verwaltung, müsse das Land mit einer Deckungslücke von rund 32 Milliarden Mark rechnen. Was der Berliner Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) gestern eine Philosophie der „Leistungsfähigkeit der Stadt“ und der „sozialen Gerechtigkeit“ nannte, wird manche Gewohnheiten der Hauptstadt aufbrechen. So steigen beispielsweise die Gebühren für Kindertagesstätten – statt zehn müssen die Eltern noch in diesem Jahr elf Monate für die Betreuung des Nachwuchses zahlen, ab 1997 gar 12 Monate. Auch Bibliotheksgebühren werden künftig erhoben, zudem mehrere der 76 öffentlichen Schwimmbäder an Vereine oder Träger übergeben.

Bis 1999 will Berlin 22.000 Stellen im öffentlichen Dienst abbauen, 4.000 mehr, als noch im Januar zwischen CDU und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart. Allein in diesem Jahr werden 1.700 Stellen zusätzlich gestrichen – geschätzte Sparsumme rund 60 Millionen Mark. Große Abstriche mußten die Sozialdemokraten beim sozialen Wohnungsbau hinnehmen. Statt 60.000 werden bis 1999 nur noch 31.000 neue Wohnungen errichtet. Auch die Modernisierung und Instandsetzung des Altbaubestandes sowie die Verschönerungsmaßnahmen in den Bezirken werden zum Teil um ein Füntel der bisherigen Summe zurückgefahren. Hart trifft es auch die Hochschulen: Sie müssen Doppelangebote abbauen und die Zahl der Studienplätze in drei Jahren von 115.000 auf 85.000 reduzieren.

Theaterschließungen wie noch 1993 soll es nicht geben. Drastisch abgesenkt werden aber die Zuwendungen für die drei Musicalbühnen. Der Friedrichstadtpalast soll statt derzeit 18 Millionen 1999 nur noch zehn Millionen Mark erhalten. Auch das Theater des Westens muß dann mit rund 15 Millionen auskommen. Der Tenor René Kollo, der das Metropol übernehmen will, wird wohl erneut mit Kultursenator Peter Radunski verhandeln müssen. Die alten Bedingungen – jährlich Subventionen von 34 Millionen Mark – seien hinfällig, hieß es gestern. Zwar werde das Theater weitergeführt, die vorgesehenen Renovierungsarbeiten wurden aber gestrichen. Allerdings: Einen Plan über die schrittweise Reduzierung der Etats für die drei Bühnen in den nächsten Jahren will Radunksi erst noch vorlegen. Severin Weiland