Kopf gegen Fuß

■ St. Pauli – Freiburg 1:1 / Die Intelligentia demonstrierte am Millerntor, wie man das Spiel bestimmt und doch nicht gewinnt Von Folke Havekost

90. Minute, ein Freistoß aus 22 Metern, die letzte Chance für die Recken vom Millerntor, das Ruder doch noch herumzureißen. Pröpper, der wackere Kapitän, und Scharping, das treue Talent, stehen da, um das Leder vorzulegen. Aus dem Hintergrund müßte Dinzey schießen – doch was ist das? Dinzey bleibt stehen, statt dessen löst sich Todt aus der Freiburger Mauer, schiebt den Ball am Fuß in die andere Hälfte, die letzte Chance vertan, aus, 1:1.

Dabei hatte die Auseinandersetzung von Proletariat und Intelligenz so hoffnungsvoll begonnen. Mit aggressivem Spiel, vor allem des später stark abbauenden Dinzey, setzte St. Pauli anfangs die Akzente. So einfach lassen sich Hegel und Heidegger nicht in Tacklings und Tore umsetzen, mußten die Gäste erkennen.

Mit der „Intellektualisierung“ ihrer Fußlümmelei haben die Jungs von der Reeperbahn natürlich nichts an der Baskenmütze. Deutlich zeigte Sobotzik, was er vom vergeistigten Kick der Freiburger hält. In der 30. Minute erzielte „Sobo“, wie das Publikum den Jungen stets liebevoll ruft, auf Vorarbeit von Szubert das 1:0. Doch danach mangelte es an Linie, Ordnung, Charakter. Savitchev verpaßte vor der Pause das 2:0, und nach Wiederanpfiff war nichts mehr vom vorwärtsstrebenden Elan zu spüren.

Der Geist schlug zurück, denn Wassmer schoß Stanislawski so kunstvoll an, daß der Ball von dessen Hüfte in der 55. Minute ins Tor sprang. Leider war nur zwei Minuten darauf der Sportsgeist der erste Verlierer des Abends: Freiburgs Sportkamerad Rath traf mit einem Hieb Ohr und Ehre von Gronau und mußte vom Platz weichen.

Darauf begann das alte Leiden der proletarischen Vorhut. Trotz Überzahl ließ sich nichts ernten, was nur mit der mangelnden ideologischen Schulung des St.-Pauli-Kollektivs zu erklären ist. Nach dem Platzverweis versuchten sich die Kicker in bürgerlicher „Schönspielerei“ statt bei ihrem Leisten zu bleiben. Verteidiger liefen planlos nach vorn, Stürmer gingen ziellos zurück, und Pröpper, Paulis Motor, stotterte in der Versenkung.

Nicht nur, daß eine produktive Umsetzung dieses falschen Bewußtseins natürlich nie gelingen konnte, auch die harmonische Ordnung der Arbeiterphalanx war aufs empfindlichste gestört. „Jeder hat seine Position, jeder muß seine Position halten“, formulierte Trainer Maslo nachher, woran es mangelte: „Darüber haben wir zu reden.“

Kollege Finke hatte es leichter und zitierte aus seinem wissenschaftlichen Überbau-Wortschatz die „alte Regel im Fußball“, daß „in Unterzahl ganz bestimmte Sperren abgebaut werden“. Einfacher drückte dies Nationalspieler Todt aus: „Zu zehnt haben wir alle noch zehn Prozent mehr gegeben.“

Und das hätte auch zum Sieg im Duell der beiden ganz anderen Bundesliga-Vereine reichen können. In Unterzahl bestimmten die Südbadener das Spiel fast vollständig. Einer einzigen Chance St. Paulis durch Scharping (81.) standen gleich mehrere Gelegenheiten des höflichen Decheiver gegenüber, der in der 67. Minute gleich zweimal verfehlte.

„So konfus habe ich meine Mannschaft überhaupt noch nicht gesehen“, war Maslo am Ende schockiert. „Wir sind alle noch jung, uns fehlt die Ruhe“, entschuldigte Dinzey derweil seinen Lapsus beim letzten Freistoß mit der Juvenilität der Paulianer-Garde.

Auch darüber wird man sehr lange zu reden gehabt haben. Bis zum Sonnenaufgang, dem Morgenrot entgegen.