Entschuppte Tradition

■ Die irische Interpretin Mary Black gastiert in Hamburg

Mary Black aus Irland gehört zu den besten Interpretinnen moderner angloamerikanischer Folklore. Sie bekennt: „Meiner Musik muß man zuhören.“ Beispielsweise das Lied „Holy Ground“. Ein sehr altes irisches Seemannslied, das deutsche Touristen gerne hören, wenn sie sich in irischen Pubs niederlassen. Dann fühlen sich alle gemütlich. Mit Mary Black ist diese Art von Gemütszustand nicht zu haben. Sie bevorzugt die eher spröderen Töne. Nicht, daß sie punkig sänge oder rockig. Aber ihre Stimme klingt nur beim ersten Hören süß.

In ihrem Heimatland gehört sie inzwischen zu den Ikonen des Unterhaltungsgewerbes. Alle mögen sie, die Undergroundleute ebenso wie die Hausfrauen aus Galway oder die Landarbeiter aus dem Süden. Mary Black, das ist die Frau, die sich von keinem vereinnahmen ließ. Aus „Holy Ground“ hat sie übrigens eine todtraurige Ballade gemacht, die vielleicht Seemännern gefällt, weil sie auch Heimweh kennen, aber ansonsten daherkommt, als bereite sie ihren Abschied von allem vor: entschuppte Tradition – nicht sehr sentimental.

Mary Black tut auch in Interviews gar nicht erst so, als müsse sie um Sympathie buhlen: „Ich kann nur erzählen, was ich auch sonst berichten würde – keine besonders tollen Sätze, die sich hinterher in Überschriften gießen lassen.“ Was sie auf dem Herzen trägt, ist auch dies: „Meine Karriere war eher stolperhaft. Anfangs hatte ich mir so gewünscht, daß eine große Plattenfirma kommt und mir einen Vertrag gibt. Aber es kam keine. So mußte ich es selbst probieren.“

Sie, die aus einer musikalischen Familie kommt, mochte schon nach einigen LPs, auf denen sie irische Folklore interpretierte, nicht mehr „auf der Schiene laufen“, auf der man „nur Sachen singt, die alle kennen“. Sie begann, zu adaptieren.

Mittlerweile hat sie keine Skrupel mehr, sich in die Tradition angloamerikanischer Liedersängerinnen zu stellen. Sie hat zusammen mit Mary Chapin Carpenter konzertiert, mit Joan Baez und den Indigo Girls, demnächst ist eine Produktion mit Melissa Etheridge geplant. Frauen wie sie, deren Themen sich meist aus Privatem speisen. „Und es scheint den Menschen zu gefallen, wenn ich davon singe, daß ich vor keinem Mann zu Kreuze kriechen würde, nur um seine Aufmerksamkeit zu erlangen.“

Mary Black wird – da ganz traditionell – wie üblich den Abend erst dann beenden, wenn niemand mehr eine Zugabe wünscht: „Das bin ich den Zuschauern nicht nur schuldig. Musik macht mir doch auch Spaß, okay?“

Jan Feddersen

Morgen, 20 Uhr, Musikhalle