Gespaltene Erinnerung

■ Reaktionen verzeichnen: die neue Nummer von Mittelweg 36

Hehr und forsch blicken ihre Gesichter in Sonnenschein oder trotzenden Wind. Klar ist ihr Blick, und klar auch ihre Aufgabe. Sie waren die Guten, sie mußten es sein – schon, weil fast jeder deutsche Mann gewissen Alters zwangsweise zu ihnen zählte: die Männer der Wehrmacht. Sie haben nur ihre Befehle ausgeführt, sie waren nur Gehorsam schuldig, schuldig aber nicht an Kriegsverbrechen jedweder Art. So war das Bild, so hat es sich von der Landser-Romantik der frühen 60er Jahre erhalten.

Einen empfindlichen Schlag erhielt dieses geschönte und nie wirklich hinterfragte Bild im letzten Jahr, als – sozusagen gegen die glättende Erinnerung ans Kriegsende – eine Ausstellung ganz empfindliche Fragen stellte. Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944 hieß sie, eingerichtet und auf Reisen geschickt vom Hamburger Institut für Sozialforschung.

Die von ebendiesem Institut herausgegebene Zweimonats-Zeitschrift Mittelweg 36 hat ihre spannende Frühjahrsnummer zum Teil der Rezeption dieser durch Deutschland und Österreich tourenden Ausstellung gewidmet. Zur Einstimmung: eine „Heldengalerie“ mit glorifizierenden Landser-Bildchen, teils Buchtiteln, teils Umschlägen von Zeitschriften wie dem Stern.

„Wenn ein Tabu bricht. Die Wehrmachtausstellung in der Bundesrepublik“ ist ein Artikel von Klaus Naumann betitelt, der die spannende Frage aufwirft, warum diese Ausstellung heute zwar Reaktionen hervorruft, aber keinen Skandal. Warum Persönliches, Privates die Reaktion bestimmt, und nicht das große Aufbegehren. „Die Themendefinition war präzise und provokativ, die Problematisierung der moralischen Diskrepanz zwischen Sein und Sollen zugespitzt“, meint der Autor, und vergleicht die ungleich politischere Reaktion österreichischer Besucher auf die Ausstellung.

Die knapp dreißig Seiten starke Literaturbeilage bietet dagegen Texte zu den in München bei Lesungen zum Großereignis gewordenen Klemperer-Tagebüchern, zu Max Horkheimers Gesammelten Schriften, zu Karl Kraus, Stefan George und der unterschiedlichen Handhabung von Nation und Sentiment in Deutschland und Frankreich im vorigen und in diesem Jahrhundert.

Ein kleines Juwel ist, in der Rubrik Aus der Protest-Chronik, der Text über die stürmische Uraufführung des Schönbergschen Moses und Aron 1959 in Berlin. Auch hier geht es letztlich um Tabubrüche.

Thomas Plaichinger

Mittelweg 36, 18 Mark