Ein Arzt für die Obdachlosen

■ Einjähriges Modellprojekt im Obdachlosenheim Jakobushaus

„Ja, ich bin Arzt“, meint Wolfgang Sikorski. „Das glaub' ich nicht, zeig mal Deinen Ausweis“, hält sein Gegenüber entgegen. Beide sitzen bei einer Tasse Kaffee im Jakobustreff an der Friedrich-Rauers-Straße 30. Daß Sikorski nicht auftritt wie der klassische Onkel Doktor und den weißen Kittel lieber zu Hause läßt, hängt eng mit seiner Aufgabe zusammen. Er hat seit Anfang Februar in einem zunächst auf ein Jahr befristeten gemeinsamen Modellversuch mit dem Bremer Gesundheitsamt die medizinische Versorgung in dem Obdachlosenheim des Vereins für Innere Mission übernommen.

In Bremen leben nach Schätzungen der Inneren Mission 100 bis 200 wohnungslose Menschen „auf der Straße“. Um einen Raum für ihre medizinische Grundversorgung einzurichten und Fachpersonal für zunächst ein Jahr bezahlen zu können, mußten zwischen 40.000 und 50.000 Mark zusammengebracht werden. „Bis Weihnachten war die Summe so gut wie vorhanden, jetzt haben wir bereits 60.000 Mark“, freut sich Pastor Manfred Schulken, Vorstandsvorsitzender der Inneren Mission. Das Geld stammt aus Spenden, Kollekten und einer Sammlung des Kirchenausschusses.

Für Obdachloser bedeutet der Besuch beim Arzt häufig eine echte Überwindung. Dabei kann man sich gerade „auf der Platte“ schnell die eine oder andere Verletzung zuziehen. Ohne festen Wohnsitz wird schon die tägliche Hygiene zum Problem. Hauterkrankungen, unbehandelte Wunden und der Befall von Ektoparasiten sind häufig die Folge. Damit wird vor allem die vernachlässigte medizinische Grundversorgung zu den Aufgaben des neuen Jakobus-Arztes Wolfgang Sikorski gehören. Er will dabei eng mit Fred Hölting vom Gesundheitsamt zusammenarbeiten.

„Weil Obdachlose sich häufig als nicht wartezimmerfähig empfinden, ist es wichtig, ein niedrigschwelliges, offenes Angebot zu haben“, meint Dr. Thomas Hilbert, Abteilungsleiter des Sozialmedizinischen Dienstes für Erwachsene beim Gesundheitsamt Bremen. Deshalb wurde für die medizinische Notversorgung ein Raum gewählt, der genau an die Cafeteria, das kommunikative Herz des Jakobustreffs grenzt. Um Kontakte zu knüpfen, hockte sich Wolfgang Sikorski zunächst einfach nur mit einer Tasse Kaffee an einen der Tische. „Eigentlich habe ich damit gerechnet, nur herumzusitzen, ohne daß etwas passiert“, meint der Allgemeinmediziner. Doch schon nach zwei Wochen behandelte Sikorski im Schnitt fünf PatientInnen pro Sprechstunde.

Probleme gibt es spätestens dann, wenn Wolfgang Sikorski seine Patienten an einen Facharzt überweisen oder ins Krankenhaus schicken muß. „Ich mußte die Erfahrung machen, daß sie einfach nicht hingehen“, meint Sikorski. So weit es möglich ist, will er deshalb solche Weiterleitungen verhindern. Immer geht das aber nicht, denn Verbände müssen täglich gewechselt, Röntgen- und Laboruntersuchungen können im Satitätsraum nicht geleistet werden. bg