Jazz ohne Netz

■ Trompeter Uli Beckerhoff spielt mit handverlesenen Gastmusikern heute und morgen im Künstlerhaus / Probenbericht

Von solch einem Angebot träumt wohl jeder Künstler: „Probier etwas, was Du gerne mal machen würdest, aber noch nie gemacht hast!“ Alle paar Jahre kommt Gustav Gisiger, der Organisator der Reihe „passiert“, mit diesem Vorschlag zum Bremer Jazzmusiker Uli Beckerhoff, läßt ihm genügend Zeit für Proben in seiner Galerie, stellt ein Künstlerappartment für die anreisenden Musiker zur Verfügung und läßt ansonsten Beckerhoff machen, was er will. Diesmal reizte es den Trompeter, drei möglichst unterschiedliche Vokalisten zusammenzubringen: die brasilianische Sängerin Rosani Reis, den Italiener Giacomo di Benedetto und die britische Jazzmusikerin Norma Winstone. Für den gemeinsamen rhythmischen Nenner sorgt der Bassist Hartmut Kracht, und Beckerhoff spielt natürlich seine Trompete. Er läßt sie aber nicht als die alles beherrschende „Stimme des Herrn“ erklingen, sondern als „eine von vier Einzelstimmen, die alle gleichwertig solistische und begleitende Funktionen erfüllen“.

Zwischen den Proben am Dienstag abend erklärte Beckerhoff, was für ihn das Besondere an dieser Formation ist: „Hier kommen so viele Kulturkreise, Sprachen und Temperamente zusammen wie sonst kaum. Mit Rosani üben wir brasilianische Songs ein, und Norma arbeitet mit uns an einem Standard von Ralph Towner. Ich habe einige neue Stücke für das Projekt geschrieben, alte umarrangiert, und wir werden auch einen Miles Davis-Klassiker und einen Folksong von Arild Andersen spielen. Bei einer normalen Jazzband kann man im Grunde nach vier Stunden wieder nachhause gehen, dann weiß man, wie sie klingt, aber bei uns klingt jedes Stück neu und anders.“

Bei den Proben fiel tatsächlich auf, wie unterschiedlich die einzelnen Songs wirkten: Ein brasilianischer Samba war so süffig und elegant wie Barmusik nach Mitternacht, eine Ballade mit einem komplizierten, vierstimmigen Satz würde sich ideal als schwebend-wehmütige Filmmusik eignen, und bei einem Tanz schnalzten, zischten und ploppten die Vokalisten so rhythmisch wie lateinamerikanische Perkussionisten.

Weil kein Schlagzeuger mitspielt, hat die Band einen ganz eigenen, durchsichtigen Sound. Und weil jede einzelne Stimme hier so klar zu hören ist, arbeiten die Musiker viel ungeschützter als gewohnt. In einer konventionellen Band bemerkt man einzelne Fehler kaum; aber hier spielen die Musiker ohne akustisches Netz. Beckerhoff kennt alle vier MusikerInnen, teils durch seine Tätigkeit als Professor an der Folkwang-Hochschule in Essen, teils durch die Zusammenarbeit in anderen Gruppen. Mit Norma Winston verbindet ihn eine 25 Jahre lange Freundschaft. So konnte er genau einschätzen, was die einzelnen MusikerInnen können und welche Möglichkeiten das Projekt bietet.

Giacomo di Benedetto hat „noch nie Jazz gemacht“, Rosani Reis beschäftigt sich ansonsten „praktisch nur mit brasilianischer Musik“, und Hartmut Kracht „mag Jazzgesang eigentlich überhaupt nicht“. Aber bei diesem Projekt mußte er ganz schnell seine Vorurteile ablegen, und jetzt legt er sogar den Bass aus der Hand und singt mit schöner tiefer Stimme einen ganzen Song lang nur „Bumm-Bumm“. Wie gesagt: Dieses Projekt ist für alle Mitwirkenden eine ganz neue Erfahrung.

Willy Taub

„Voices, trumpet and bass“, heute und morgen um 20 Uhr im Künstlerhaus, Am Deich 68/69