Lernen zu lernen

■ Autonome Schulen, von Schülern, Lehrern und Eltern gemeinsam geführt: Linke Pädagogen und Wirtschafter fordern, daß der Staat sich aus den Schulen zurückzieht.

Die Lehrergewerkschaft und die Computer-Industrie waren bislang selten einer Meinung. Seitdem sie jedoch zusammen mit Bildungspolitikern und anderen Wirtschaftbossen die Denkschrift „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“ erarbeitet haben, fordern sie einmütig: Die Schule muß autonom werden.

Johannes Rau, SPD-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfahlen, hatte 1992 eine Bildungskommission zur zukunftsfähigen Bildungspolitik zusammengerufen. Denn allen war klar: Die Schule in ihrer starren Form ist nicht mehr zeitgemäß. Jahrelang hatten sich Unternehmen beklagt, daß Schulabgänger oder Hochschulabsolventen den Anforderungen in ihren Betrieben nicht gewachsen waren. „Die Berufseinsteiger haben zwar eine hervorragende Fachkompetenz, ihnen fehlt aber die Sozialkompetenz und die Methodenkompetenz“, sagt Gisa Schultze-Wolters, Generalbevollmächtigte von IBM-Deutschland. Sie leitet für das Hi-Tech-Unternehmen seit 20 Jahren die Weiterbildungsabteilung. Anfänger seien für das Unternehmen unbrauchbar: „Wir müssen sie erst intensiv für die Berufstätigkeit schulen“, sagt Schultze-Wolters.

Für die nordrhein-westfälische Kommission stellte sie am Dienstag die Telefonbuch dicke Denkschrift vor. Die Bürgerschafts-Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen hatte als Gegenpol mit dennoch gleicher Meinung Erich Frister von der Vereinigung Freier Lehrergewerkschaften eingeladen. Streiten sollten sich außerdem Bremens ehemaliger Schulsenator Thomas Franke (SPD) und die frühere Berliner Schulsenatorin Sybille Volkholz (Bündnis 90/Die Grünen).

Der Sozialdemokrat Franke kann sich mit einer autonomen Schule nicht anfreunden. Wenn Schulen selbst über ihren Etat wachen und allein für Lehrer und Lehrpläne zuständig sind, dann „gehen die grauen Alltagsschulen zugrunde“. In Stadtteilen wie Walle oder Gröpelingen sei die Elternschaft eben uninteressiert und undifferenziert. Wie sollten sie sich an den Schulen engagieren?

„Purer Strukturkonservatimismus“, kontert Volkholz. „Franke ist in den 70er Jahren stehengeblieben“, glaubt die um zehn Jahre jüngere Grüne. Schulen sind reformfähig, Lehrer sind flexibel, Eltern und Schüler wollen eine andere Schule. Hatte die Kollegin von IBM nicht gerade erzählt, daß sich alle zehn Jahre das Wissen der Menschheit verdoppelt? Daß niemand mehr Arbeit finden wird, der nicht mit Computer-Programmen umgehen kann? Nicht pures Wissen sei daher gefragt, sondern allein die Fähigkeit, zu lernen. „Die Kinder müssen lernen, sich Wissen zu erschließen, zu beurteilen, Schlüsse daraus zu ziehen“, hatte die Unternehmensvertreterin den anwesenden Lehrern gesagt. „Und das alles bitte im Team“.

So ganz neu kommt den rund 200 LehrerInnen in der Bürgerschaft das alles nicht vor. Seit 30 Jahren fordern ReformpädagogInnen, daß SchülerInnen den Unterricht in Gruppen selbst mitgestalten. Nicht zuletzt das neue Bremer Schulgesetz will den Schulen eine stärkere Autonomie zubilligen. Volkholz findet es wunderbar, daß „alle alten Theorien jetzt noch mal in einer Denkschrift vereint sind“. Gerade jetzt, nachdem die Haushaltskassen der Gemeinden leer sind, biete sich doch eine kostengünstige Alleinverantwortung der Schulen an.

Franke kann sich immer noch nicht mit dem Rückzug des Staates aus der Bildung anfreunden. „Geld bestimmt die Inhalte“, beharrt der Pädagoge. „Wir müssen die Ressourcenfrage radikal diskutieren“, sagt er. Sich nicht mit erreichten Etats abgeben. Deutschland habe im internationalen Vergleich „einen ganz beschissenen Platz“, wenn es um die Staatsausgaben für Bildung gehe.

Doch Franke will nicht auf Denkschriften und Beschlüsse warten. Schon jetzt können die Lehrer an anderen Schulen hospitieren oder vergleichenden Unterricht mit anderen Schulen abhalten. „Aber, nein der deutsche Lehrer will im Klassenzimmer allein sein“, sagt Franke. Wenn er früher als Bildungssenator diese Pädagogik vorgeschlagen habe, hätten die Schulleiter gejammert: „Herr Senator, die Kollegen mögen das nicht.“ ufo