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Tanzen nach Sonnenuntergang

Die FDJ wird heute 50. Nicht still, aber heimlich, trafen sich 750 ehemalige Funktionäre und Aktivisten, um das Jubiläum zu begehen  ■ Von Kathi Seefeld

„Meine Güte, ist der fett geworden!“ Wen genau die Mitvierzigerin mit der blauen Bluse meinte, war angesichts einer Vielzahl vollschlanker, älterer Herren, die am Dienstag abend in die Kongreßhalle strömten, kaum auszumachen. Doch ob „Kummerspeck“ oder „Wohlstandsfülle“ – wer sich mehr als sechs Jahre nach der Wende in die DDR-„Traditionsstätte“ am Alex aufgemacht hatte, dem ging es einzig um die „schöne, nunmehr unwiederbringlich vergangene Jugend“. Genauer gesagt um die Freie Deutsche Jugend, die heute vor 50 Jahren von der Sowjetischen Militäradministration zugelassen worden war.

Klaus Eichler, einstiger Generaldirektor des Reisebüros der FDJ, „Jugendtourist“, und heute in der „Touristik und Kontakt International GmbH“ in der Danziger Straße zu finden, hatte zum „Fest der Junggebliebenen“ geladen. Für 25 Mark konnte JedeR, den/die die Nachricht durch „Weitersagen“ erreichte, eine Eintrittskarte erwerben. Von der Öffentlichkeit fast unbemerkt luden sich so 750 ehemalige Aktivisten und FDJ-Funktionäre aus allen Teilen der verblichenen Republik ein, um das Gründungsjubiläum zu feiern oder „um einfach mal zu gucken, was aus allen so geworden ist“.

Ex-DDR-Verteidigungsminister und Mitbegründer der FDJ, Heinz Keßler, gab sich die Ehre, auch der einstige Außenminister Oskar Fischer war der Einladung gefolgt. Der ehemalige Parteichef Magdeburgs, Werner Eberlein, kam und Horst Pehnert, der etwa zehn Jahre lang für das Filmwesen der DDR im Ministerium für Kultur und damit auch für die Zensur in diesem Bereich verantwortlich war. Egon Krenz begrüßte überschwenglich Ex-DKP-Chef Herbert Mies. Auch die meisten Sekretäre des letzten FDJ-Zentralrates fehlten nicht.

Manche hatten sich „ja jahrelang nicht gesehen“ und nutzten, „wie das auf Ehemaligentreffen so üblich ist“, die Gelegenheit, mal hier mal dort, ein Gläschen Rotkäppchen-Sekt zu leeren. Leider schien mit dem Bier etwas schiefgelaufen zu sein. Statt Ostbier gab's „diese Plörre, für die der Krug immer Werbung macht“. Auch das einstige FDJ-Blatt junge Welt fand weniger Absatz als erhofft, und mit der Truppe Jugendlicher, die sich heute FDJ nennt und im Blauhemd am Eingang ausharrte, suchten nur noch wenige Alt-FDJler das Gespräch. Sie schwangen, so es noch ging, viel lieber das Tanzbein zu „Sing, mein Sachse sing“ und rätselten, warum Eberhard Aurich, der letzte Vorwende-FDJ- Chef, seit 89 nicht mehr in der Öffentlichkeit aufgetaucht ist.

Ganz anders Wilfried Poßner, der schon als Vorsitzender der Pionierorganisation kleine Mädchen zu beeindrucken wußte, zuletzt der für Sport zuständige Staatssekretär im Nachwende-DDR-Ministerrat war und heute ein Bildungszentrum leitet. Der kam immer noch ganz prächtig an, was vielleicht daran liegt, daß Poßner bereits in einem Buch mit der Vergangenheit abgerechnet und in der Super- Illu bekannt hat: „Ich schäme mich, geschwiegen zu haben.“

Andere, die der Veranstaltung ferngeblieben waren, haben zum Thema FDJ-Vergangenheit noch andere Dinge zu sagen. Der ehemalige Chefredakteur der jungen Welt, Hans-Dieter Schütt, zum Beispiel. Im pünktlich zum FDJ- Jubiläum vom PDS-Ehrenvorsitzenden herausgegebenen Buch „Unser Zeichen war die Sonne“, das in der Kongreßhalle als Sonderangebot wegging wie warme Semmeln, gibt Schütt unter anderem zu bedenken, daß er selbst sich zu denen zählte, „die am ideologischen Sockel dieser Politik bis zum letzten Tag herumbetonierten“. Mittels solcher Funktionäre sei die FDJ auch zu Bruch gebracht worden. „Ich kann also nicht über Idiotie und Starre der SED-Führung sowie die Sinnesleere politischer Rituale in der FDJ meditieren, ohne darüber zu reden, daß auch ich sturer Konservator dieser Idiotie war.“

Mit Sinnesleere hatte der FDJ- Abend in der Kongreßhalle freilich nichts zu tun. Von der Bühne herunter vermerkte lediglich der DDR-bekannte Liedermacher Reinhard Lakomy (Lacky) trotzig, daß er jetzt ein Lied singen werde, das er früher nicht singen durfte, weil dort das Wort „Intershop“ drin vorkam. Er sang, und die Versammelten dankten es mit höflichem Beifall.

Vor den Toren der Kongreßhalle drückten sich unterdessen ein paar Kids die Nase platt, sahen die FDJ-Stände und Fahnen aus Vietnam und wunderten sich: „Schon wieder eine Chinaausstellung in Berlin?“

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