Sanssouci: Vorschlag
■ Neusachlicher Humanist: G.W.-Pabst-Filmreihe im Babylon-Kino
Georg Wilhelm Pabst gilt heute unbestritten als einer der größten Regisseure des Kinos der Weimarer Republik. Zeitgenossen sahen das teilweise anders. Für die politische Rechte war er der „rote Pabst“, dessen Pazifismus ihnen im Antikriegsfilm „Westfront 1918“ (1930) ebenso unerträglich war wie der Aufruf zur Völkerverständigung in „Kameradschaft“ (1931). Die Linke hingegen warf dem Regisseur vor, durch einen Hang zur Melodramatik und Kolportage die politische und soziale Aussage seiner Filme zu verwässern. So protestierte der Autor Ilja Ehrenburg gegen „Die Liebe der Jeanne Ney“ (1929), weil er den politischen Aspekt seines Revolutionsromans vernachlässigt sah. Und Brecht und Weill strengten wegen eines Streits über die Verfilmung der „Dreigroschenoper“ (1931) sogar einen Prozeß an.
Daß der Humanist Pabst, der sich einst im „Volksverband für Filmkunst“ für den progressiven Film engagiert hatte, 1939 aus dem Exil ins Großdeutsche Reich zurückkehrte und unter nationalsozialistischer Ägide zwei „staatspolitisch wertvolle“ Filme („Komödianten“ und „Paracelsus“) inszenierte, verzieh man ihm erst recht nicht. Daran konnten auch Pabsts Anti-Nazi-Produktionen der Nachkriegszeit, „Der letzte Akt“ und „Es geschah am 20. Juli“ (beide 1955), nichts mehr ändern.
In den zwanziger Jahren galt Pabst vor allem als Exponent der sogenannten Neuen Sachlichkeit im Kino. Mit seiner dritten Produktion „Die freudlose Gasse“ (1925) verabschiedete er sich von den im deutschen Kino so beliebten romantischen und phantastischen Geschichten mit ihren Golems, Nosferatus und Caligaris, denen er mit seinem ersten, im Mittelalter spielenden Film „Der Schatz“ (1923) noch gehuldigt hatte. „Die freudlose Gasse“ wandte sich zeitbezogeneren Themen zu: Der Film zeigt die Armut im Wien der Nachkriegszeit, die Verelendung der Mittelklasse unter dem Einfluß der Inflation und den Zusammenbruch aller moralischen Werte. Unvergessen ist Werner Krauss als widerlicher Schlachter, der sein Fleisch nur an Frauen abgibt, die sich dafür prostituieren. Auch später erkundet Pabst immer wieder den Zusammenhang zwischen Macht und Sex. Interessant bleibt „Die freudlose Gasse“ auch wegen der jungen Greta Garbo. Bei den Dreharbeiten war sie so nervös, daß Pabst den Film nur mit einem Trick retten konnte: Er nahm sie in Zeitlupe auf, was ihre Bewegungen weich und fließend wirken ließ.
In dem 1926 entstandenen Film „Geheimnisse einer Seele“ beschäftigte sich Pabst wiederum mit einem Thema seiner Zeit: der Psychoanalyse. Zwei Mitarbeiter Sigmund Freuds arbeiteten am Drehbuch mit, das dennoch meist als reichlich kindisch angesehen wurde. Spektakulär sind hingegen die surrealistisch anmutenden Träume, die Werner Krauss, der den Patienten mit einer Messerphobie spielt, immer wieder heimsuchen. Kameramann Guido Seeber erreichte den gewünschten Effekt durch komplizierte Mehrfachbelichtungen in der Kamera.
Als Pabsts eigentliches Vermächtnis sind jedoch die beiden Stummfilme „Die Büchse der Pandora“ (der aus rechtlichen Gründen zur Zeit nicht gezeigt werden kann) und „Das Tagebuch einer Verlorenen“ anzusehen, die er mit der amerikanischen Schauspielerin Louise Brooks Ende der zwanziger Jahre inszenierte. Fließende Kamerabewegungen, die moderne Montage und Brooks' „underplay“ – der Verzicht auf theatralische Gestik und Mimik, der zeitgenössische Kritiker zu der Annahme veranlaßte, sie sei wohl eine miserable Schauspielerin – machen die Filme heute zu zeitlosen Kunstwerken. Für Brooks führte Pabst in beiden Filmen „eine Untersuchung seiner Beziehungen zu Frauen“ durch, „mit dem Ziel, jede Leidenschaft, die seiner Leidenschaft für seine Arbeit in die Quere kam, zu besiegen“.
Spektakuläre Mehrfachbelichtungen in Pabsts Film „Geheimnisse einer Seele“ (1926) Abbildung: Archiv Penning
Gleich mit seinem ersten Tonfilm, „Westfront 1918“, erwies sich Pabst als Meister des neuen Mediums: Die in jenen Tagen eigentlich schwerfällige Tonfilmkamera bleibt agil, der Ton wird vor allem zur Verdichtung der grausigen Atmosphäre des Schützengrabendaseins eingesetzt. Mit „Kameradschaft“, einem Film über die Solidariät deutscher Bergarbeiter, die verschütteten französischen Kumpels zu Hilfe eilen, konnte Pabst sein künstlerisches Niveau halten, doch als er nach den Dreharbeiten zu „Die Herrin von Atlantis“ ins französische Exil ging, verließen ihn Glück und Inspiration. Weder mit den Exilfilmen noch mit seiner Nachkriegsproduktion konnte Pabst an seine Glanzzeiten anknüpfen. In den beiden umstrittenen Filmen, die er während des Krieges im Dritten Reich drehte – in das er durch eine Verkettung reichlich unglücklicher Umstände zurückgekehrt war –, ergab er sich einem für ihn ganz untypischen Historizismus und verdeutlichte sein inneres Exil durch die Abwendung von dem Motto, das sein Sohn Michael 1967 in einem Nachruf auf den Vater ausgab: „Die Probleme seiner Zeit waren auch seine eigenen.“ Lars Penning
G.W.-Pabst-Filmreihe im März und April, Informationen und Termine im Babylon Mitte, 242 50 76
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