Bezirke wehren sich gegen das Sparen

Über eine Milliarde sollen die Bezirke sparen. Doch in manchen Ämtern wird die soziale Verpflichtung höher bewertet als die Vorgabe der Finanzsenatorin. Kaum Ermessensspielraum  ■ Von Christian Füller

Der „Dienst nach Vorschrift“ bekommt in den Berliner Bezirken einen neuen Klang. Ursprünglich als Synonym für Beamtenstreik verwendet, wird der „Dienst nach Vorschrift“ vielen sozial Schwachen ihr Auskommen sichern – allerdings zum Nachteil der Berliner Kassenwartin Annette Fugmann Heesing (SPD).

In Ämtern und Behörden, die soziale Zuwendungen aller Art an Bedürftige ausbezahlen, beharren viele Staatsdiener auf ihrem sozialen Gewissen. Sie denke nicht daran, Sozialleistungen zu verweigern, erklärte zum Beispiel die Kreuzberger Sozialstadträtin Ingeborg Junge-Reyer (SPD): „Ich habe die Verpflichtung, den essentiellen sozialen Ansprüchen zu genügen. Das Gesetz will es so.“ Ähnlich wie Junge-Reyer äußerten sich gestern viele Angestellte und Beamte. Ein Amtsleiter aus Tiergarten sagte: „Wir arbeiten weiter wie bisher.“ Ein Kreuzberger Schulleiter meinte, er lasse sich nicht zum „Einkommensschnüffler“ machen.

Dennoch muß gespart werden. Zwar hat die Finanzsenatorin den Sparbetrag der Bezirke abgesenkt, die Bürgermeister und Stadträte müssen ihre Ausgaben „nur noch“ um rund eine Millarde Mark zurückschneiden – 200 Millionen weniger als ursprünglich vorgesehen. Aber die bezirkliche Sparmilliarde soll aus einem sensiblen Bereich herausgepreßt werden: den konsumtiven Sachausgaben. Dazu zählen auch Sozialleistungen, die durch die Verfassung garantiert sind. Etwa die „Sicherung des Lebensunterhalts“. Und die sieht vor, daß jeder ein Dach über dem Kopf hat, sich kleiden kann und ein Minimum an Pflege und Betreuung beanspruchen darf.

Wie kann man etwas in den Sparstrumpf der Finanzsenatorin stecken, das laut Gesetz doch an Bedürftige auszuzahlen ist? Durch die Einschränkung des Ermessenspielraums. Aber den gibt es eh kaum noch.

Beispiel Bekleidung: Jeder Sozialhilfeempfänger hat Anspruch auf Bekleidungsgeld. Er oder sie geht zum Sozialamt, beantragt eine Jeans für die Tochter oder einen Wintermantel. Es steht dann im Ermessen des Beamten, ob er jeden Kleiderkauf mit dem Anspruchsberechtigten einzeln abrechnet oder ob er's über die im Amt vorliegende Preisliste macht. So könnte, mühsam zwar, gespart werden. Die Crux: bereits vor zwei Jahren hat der Berliner Senat eine „Bekleidungspauschale“ eingeführt. Männer über 18 Jahren bekommen demnach 599 Mark pro Jahr für Klamotten, Frauen 735 Mark. Ausbezahlt wird am 1. April und am 1. Oktober. Was der Sozialhilfeempfänger erwirbt, bleibt seinemGeschmack und Bedarf überlassen.

Sparen könnte der Senat also nur, wenn er die „Bekleidungspauschale“ schlicht absenkt, etwa in einem Haushaltsstrukturgesetz. Das birgt aber ein erhebliches Prozeßrisiko. „Bislang hatten wir kaum Gerichtsverfahren“, sagt ein Beamter aus Tiergarten, „aber dann bekommen wir sie.“

Ausgesprochen schwierig wird das Sparen auch in den Schulen. Beispiel Lehr- und Lernmittel. Drei Millionen Mark hat der Kreuzberger Schulstadtrat Dirk Jordan (Bündnis 90 / Die Grünen) für Bücher und Ausstattung, die er laut Berliner Schulgesetz umsonst an die Zöglinge des Bezirks auszugeben hat. Der schmale Etat reichte aus, „um für jeden Schüler pro Jahr ein neues Lehrbuch anzuschaffen“. Fährt Jordan seinen Etat auf die Hälfte herunter – und das muß er – wird es schwierig. Dann kommen zum Beispiel bei der Reinhardswald-Grundschule noch rund 20 Mark pro SchülerIn für Bücher an. Ein Schulbuch kostet aber rund 30 Mark. „Man kann im Prinzip kein Buch mehr kaufen“, konstatiert Schulleiter Werner Munk. Er könne nur noch Kopien machen lassen. Das ist billig – aber verboten. So wird Munk seinen Etat künftig wohl für das günstigere Werkmaterial aufbrauchen. Die Schulbücher kaufen dann die Eltern – oder die Lehrer, wie es jetzt bereits häufig geschieht. Munk: „Das ist die Bankrotterklärung der Lernmittelfreiheit.“