Zu viele Häuptlinge, zuwenig Indianer

■ Regisseur Peter Lilienthal erhebt schwere Vorwürfe gegen die Berliner Akademie der Künste: Zuviel der Ost-West-Querelen

Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Künste (AdK) hat ihren ersten Eklat. Der Filmemacher Peter Lilienthal ist von seinem Posten als Direktor der Abteilung Film- und Medienkunst zurückgetreten. Bis zu den regulären Neuwahlen im nächsten Jahr übernimmt Lilienthals Stellvertreter Reinhard Hauff die Geschäfte. Ein einmaliger Vorgang: Nie zuvor in der langen Geschichte der Akademie hat ein Abteilungsleiter sein Ehrenamt vorzeitig und aus freien Stücken niedergelegt.

Die Liste der Vorwürfe, mit denen Lilienthal nach elf offenbar leidvollen Jahren an die Öffentlichkeit tritt, ist lang: In seinem Demissionsschreiben kritisiert der in München lebende Regisseur unter anderem die zu extensive Beschäftigung mit Ost- West-Querelen, die mangelnde Zusammenarbeit innerhalb des Akademie-Senats, fehlende Nachwuchsförderung, die Pläne für den Neubau am Brandenburger Tor sowie die Vorbereitungen für die Feiern zum dreihundertjährigen Jubiläum der Akademie.

Wie die Dinge stünden, könne er „eine Mitverantwortung für die Gesamtplanung und das Programm der Akademie ab sofort nicht mehr übernehmen“, schreibt Lilienthal und zieht eine vernichtende Bilanz: „Das wirkliche Leben wird bei uns vergessen, und die Verbindung zu einer neuen Generation ist aus dem Blick verschwunden.“ Statt dessen, so Lilienthal, herrschten in der Akademie „Kunsthistorismus“ und „Repräsentationssehnsüchte“.

Freunde hat er, der „einfaches Mitglied“ bleiben will, sich damit verständlicherweise nicht gemacht. Wie tief der Graben zwischen ihm und seinen Kollegen ist, zeigt die offizielle Mitteilung zum Rücktritt des Filmemachers, in der sich kein Wort des Bedauerns zur Demission des Vizedirektors findet, der vor elf Jahren die Abteilung Film der damaligen West-Akademie mitbegründete.

Wie Lilienthal sich die Arbeit der Akademie vorstellt, ließ sich wohl am ehesten an seiner jährlich für einige Wochen durchgeführten Sommerakadamie ablesen: Buntes Volk aus Medien und Medientheorie kam dort zusammen, um über „Körper im Cyberspace“, „Krieg und Medien“ und dergleichen Unwägbarkeiten in oft nicht allzu konkreter Weise Austausch zu pflegen.

Gegenüber Lilienthals Vorwürfen weist die Akademie wohl nicht zu Unrecht darauf hin, daß für sie „die Ost- West-Auseinandersetzungen alles andere als Querelen sind, da sich in ihnen die tiefgreifenden intellektuellen Erschütterungen nach dem Ende des Ostblocks spiegeln, die Europa zur Zeit bestimmen“.

Was die von Lilienthal beklagte Vernachlässigung von jungen Künstlern angeht, betont die Akademie, daß sie sich „gerade dieser Aufgabe im Sinne der Ost- West-Verständigung gestellt“ habe, und weist als Beispiel auf die in der Tat allgemein als Erfolg gewertete Stipendiatenwerkstatt „Moskau– Berlin“ hin, bei der fünfzig junge Künstler mehrere Monate in der Akademie arbeiteten.

Die von Lilienthal angemahnte Nachwuchsförderung – es gibt sie in der Tat längst. Vor zwanzig Jahren gründete die Akademie gemeinsam mit dem DAAD das Künstlerhaus Bethanien. Inzwischen hat sich das Atelierhaus abgenabelt. Heute wissen die wenigsten, daß das Bethanien eigentlich ein Kind der Akademie ist.

Ähnlich steht es mit dem Künstlerhof Buch. Als dort im vergangenen Jahr das erste Sommerfest veranstaltet wurde, um die neue Institution bekannt zu machen, glänzten die Mitglieder der Akademie allesamt durch Abwesenheit.

Das Dilemma der Akademie ist bekannt. Runde vierzehn Millionen Mark läßt sich die Berliner Landesregierung die Einrichtung kosten. Das Haus ist gebaut, nur wer drinnen wohnt, ist nicht ganz klar. Zu Lilienthals Kritik, hier werde in falsche Repräsentationsbedürfnisse investiert, wird von seiten der Akademie entgegnet: „In der Frage des Neubaus eines Akademiegebäudes am Potsdamer Platz, dem historischen Ort der Akademie, vertrat der Abteilungsleiter Lilienthal eine Meinung, die unter den Mitgliedern nicht einmal ansatzweise mehrheitsfähig ist. Die Akademie weiß, wo sie zu Hause ist – im größeren Deutschland: am Pariser Platz, in Max Liebermanns Wirkungsstätte.“ Dort werde man weiter als „Künstlersozietät“ fungieren und wolle in dieser Arbeit wie bisher auf jede Opulenz und Repräsentation verzichten.

Den nicht leicht einsichtigen Vorwurf, man ziele auf zu viel Opulenz ab (was wäre gegen Opulenz zu sagen?), wiederholte Lilienthal auch noch angesichts der ins Haus stehenden Dreihundertjahrfeier des Hauses, für die „Kulturgüter und Ausstellungsgegenstände aus aller Welt“ herangeschafft werden sollten. Statt dessen, so Lilienthal, solle die Akademie, wenn sie sich denn die kritische Auseinandersetzung auf die Fahnen geschrieben habe, lieber eine Ausstellung über „abgewiesene Akademiemitglieder“ machen.

Wen, so bleibt nachzufragen, könnte wohl eine solche Ausstellung interessieren?

Ulrich Clewing/

Mariam Niroumand